Basisflyer: "Gute Arbeit mit Tarifvertrag"
Broschüre / Flyer01. November 2023
Datei herunterladenTarifverträge bieten dir zahlreiche Vorteile: mehr Geld, mehr Jobsicherheit, mehr Freizeit und mehr Urlaubstage.
Ein Tarifvertrag ist ein Vertrag zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften – das kann entweder ein einzelner Arbeitgeber sein oder ein Arbeitgeberverband, in dem sich mehrere Arbeitgeber einer Branche zusammengeschlossen haben. Der Tarifvertrag regelt die Rechte und Pflichten von Arbeitnehmer*innen und Arbeitgebern. Dazu gehören Arbeitsbedingungen wie etwa Löhne, Gehälter, Sonderzahlungen, Arbeitszeit und Urlaubsanspruch. So sorgen Tarifverträge für zahlreiche Vorteile für dich z. B. mehr Geld, mehr Job-Sicherheit und mehr Freizeit und Urlaubstage.
Ein Arbeitsvertrag ist ein gegenseitig abgeschlossener Vertrag zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgebern. Das heißt, er regelt die Arbeitsbedingungen für ein einzelnes Arbeitsverhältnis, zum Beispiel den Lohn, die Arbeitszeit oder die Urlaubstage.
Bei einem Tarifvertrag ist statt dem/der einzelnen Arbeitnehmer*in immer die Gewerkschaft der Vertragspartner. Über den kollektiven Zusammenschluss auf Arbeitnehmer*innenseite in einer Gewerkschaft kann oft mehr Druck auf die Arbeitgeberseite ausgeübt werden und dadurch bessere Arbeitsbedingungen erreicht werden, als das ein*e einzelne*r Arbeitnehmer*in könnte.
Rechtlich steht ein Tarifvertrag immer über einem Arbeitsvertrag, es gilt das Günstigkeitsprinzip.
Ein Haustarifvertrag wird zwischen der Gewerkschaft und einem einzelnen Arbeitgeber abgeschlossen. Er gilt nur in diesem Unternehmen. Diese Art des Tarifvertrags ist seltener als der Branchentarifvertrag und existiert vor allem bei großen Unternehmen.
Ein Branchentarifvertrag – auch Flächentarifvertrag oder Verbandstarifvertrag genannt – wird zwischen der Gewerkschaft und dem Arbeitgeberverband abgeschlossen. In einem Arbeitgeberverband können sich mehrere Arbeitgeber einer Branche zusammenschließen. Der Branchentarifvertrag gilt für alle Unternehmen, die Mitglied des Arbeitgeberverbands sind. Das Problem: Immer mehr Arbeitgeberverbände lassen eine sogenannte "OT-Mitgliedschaft"/"Mitgliedschaft ohne Tarifbindung" zu. Diese Entwicklung wird von Gewerkschaften kritisiert.
Ein Tarifvertrag regelt die Rechte und Pflichten von Arbeitnehmer*innen und Arbeitgebern und damit viele Fragen der Arbeitsbedingungen wie zum Beispiel:
Gesetze regeln nur den allgemeinen Rahmen, Tarifverträge werden für die Beschäftigten einer Branche abgeschlossen und gehen von deren Arbeitsbedingungen aus (zum Beispiel extra Bezahlung für Mehrarbeit am Wochenende).
Die Regelungen von Tarifverträgen sind immer besser als die gesetzlichen Regelungen. Viele Aspekte sind gesetzlich auch überhaupt nicht geregelt. Gute Tarifabschlüsse sind zudem besonders wichtig, weil sich Gesetze in der Vergangenheit häufig an bestehenden Tarifverträgen der Gewerkschaften orientiert haben.
Übrigens: Geltende Tarifverträge haben Vorrang vor dem Einzelarbeitsvertrag und auch vor dem Gesetz, sofern sie günstiger für die Beschäftigten sind. Im Ergebnis stehen Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis durch einen Tarifvertrag geregelt ist, besser da als Beschäftigte in Betrieben ohne Tarifbindung:
Ob für ein Arbeitsverhältnis ein Tarifvertrag gilt, hängt davon ab, ob Arbeitgeber und Arbeitnehmer*in tarifgebunden sind. Wenn der Arbeitgeber seinem Arbeitgeberverband und der*die Arbeitnehmer*in der zuständigen Gewerkschaft beigetreten ist, ist der Fall klar: Der Tarifvertrag gilt. Es kann auch ein Tarifvertrag mit einem Arbeitgeber allein abgeschlossen werden, ein sogenannter Firmentarifvertrag, bzw. Haustarifvertrag. Die Regelungen der Tarifverträge können auch im Arbeitsvertrag vereinbart werden.
Ein Tarifvertrag gilt für die Tarifvertragsparteien, die diesen Vertrag abgeschlossen haben. Das sind
Diese Arbeitnehmer*innen haben einen Anspruch auf die Tarifbedingungen, die ihre Gewerkschaft für sie durchgesetzt hat, und können diese auch vor Gericht durchsetzen. Um keinen Anreiz zum Gewerkschaftsbeitritt zu schaffen, wenden aber die meisten Arbeitgeber Tarifverträge auf alle ihre Beschäftigten an. Im Arbeitsvertrag steht dann: Es gilt der Tarifvertrag.
Du willst einen Tarifvertrag an deiner Arbeitsstelle – für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne? Den kannst du dir selbst erkämpfen – gemeinsam mit deinen Kolleg*innen.
Hie erfährst du, was zu tun ist:
Du bist bestimmt nicht allein mit dem Wunsch nach besseren Bedingungen im Betrieb. Sprich mit deinen Kolleg*innen darüber, erzähle ihnen von deinem Wunsch nach einem Tarifvertrag, der bessere Arbeits- und Lohnbedingungen für alle Kolleg*innen verbindlich regelt.
Am Ende könnt ihr Verbesserungen nur gemeinsam erreichen.
Nimm Kontakt zur zuständigen Gewerkschaft vor Ort auf. Welche Gewerkschaft grundsätzlich die richtige für euer Unternehmen ist, erfährst du hier:
www.dgb.de/service/mitglied-werden/
Die zuständige Gewerkschaft kann dann bei den nächsten Schritten behilflich sein.
Betriebsrat wählen…
Wenn ihr noch keinen Betriebsrat habt, macht es Sinn zunächst einen solchen zu gründen. Das Betriebsverfassungsgesetz sieht schließlich vor, dass ab 5 Beschäftigten in einem Betrieb ein Betriebsrat gewählt werden soll. Auch dabei hilft die Gewerkschaft.
… und weitere Mitstreiter*innen finden
Gleichzeitig ist es wichtig, dass jetzt möglichst viele Kolleg*innen Gewerkschaftsmitglied werden. Je mehr Kolleg*innen Gewerkschaftsmitglieder sind, desto einfacher und wirkungsvoller können Verbesserungen in Tarifverträgen durchgesetzt werden – wenn es nötig ist, auch mit einem Streik. Und an einen einmal abgeschlossenen Tarifvertrag müssen sich die Arbeitgeber dann halten.
Grundsätzlich hat es sich als sehr sinnvoll erwiesen, wenn die Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb so genannte “Vertrauensleute” wählen – zentrale, ehrenamtliche Ansprechpartner*innen der jeweiligen Gewerkschaft vor Ort, die im Betrieb jeder kennt.
Tarifverträge entstehen demokratisch. Es sind die Beschäftigten im Unternehmen, die entscheiden, welche Themen sie mit einem Tarifvertrag regeln wollen. In eine Tarifkommission werden ehrenamtliche Gewerkschaftsmitglieder von allen Mitgliedern gewählt.
Die Tarifkommission bereitet die Tarifverhandlungen vor und begleitet sie. Sie formuliert mit den Beschäftigten die Forderungen und fordert den Arbeitgeber zu Verhandlungen auf.
Du und deine Gewerkschaft verhandelt nun mit dem Arbeitgeberverband (Branchentarifvertrag/Flächentarifvertrag) bzw. dem einzelnen Arbeitgeber (Haustarifvertrag).
Kommt ein Ergebnis zustande, das von der Tarifkommission als ausreichend angesehen wird, stimmt sie dem Verhandlungsergebnis zu, das dann in einem Tarifvertrag festgehalten wird und der dann von beiden Tarifparteien unterzeichnet wird. Kommt zunächst kein akzeptables Ergebnis zustande, müssen die Beschäftigten Druck aufbauen – mit unterschiedlichen Aktionen bis hin zu kürzeren Warnstreiks oder längeren Erzwingungsstreiks. Bis das Ergebnis stimmt!
Hinweis: Vielleicht gibt es ja bereits einen Flächentarifvertrag für deine Branche und Region. Du und deine Kolleg*innen können zusammen mit der Gewerkschaft Druck auf den Arbeitgeber ausüben, damit er den bestehenden Tarifvertrag in eurem Unternehmen übernimmt.
Mehr zu Tarifverhandlungen und Alles rund um die Entstehung von Tarifverträgen findest du weiter unten.
Ein Tarifvertrag kommt also nicht von allein. Aber er ist auch kein Zauberwerk und die Gewerkschaften haben viel Erfahrung und Routine mit Tarifverträgen. Es ist ein tolles Gefühl, wenn man selbst, gemeinsam mit seinen Kolleg*innen, konkrete Verbesserungen am Arbeitsort erstritten hat und sich zeigt: Ein Tarifvertrag lohnt sich!
Der Tarifvertrag ist eine bindende Vereinbarung zwischen der Gewerkschaft und dem Arbeitgeberverband (Branchentarifvertrag/Flächentarifvertrag) bzw. dem einzelnen Arbeitgeber (Haustarifvertrag). An einem Tarifabschluss können die Gewerkschaftsmitglieder der jeweiligen Branche oder Firma beteiligt werden. Dazu bildet die Gewerkschaft Tarifkommissionen, in denen Gewerkschaftsmitglieder aus den Betrieben vertreten sind. Die Verhandlungen in einer Branche können dann von Gewerkschaftsmitgliedern aus verschiedenen Betrieben geführt werden. In der Regel werden diese durch gewählte oder beauftragte Gewerkschaftssekretär*innen unterstützt.
35-Stundenwoche mit vollem Lohnausgleich, gute Bezahlung, vergütete Überstunden und maximal 2 Wochenendschichten in 2 Monaten. Eine tolle Leistung exklusiv für Gewerkschaftsmitglieder, denn nur für sie gelten die vereinbarten Leistungen. Der Tarifvertrag der Waldkliniken Eisenberg ist wegweisend für die Klinikbranche – “ganz Klasse, was hier gemacht worden ist” –, sagt DGB-Vorstand Stefan Körzell auf seiner aktuellen Sommertour in Thüringen. Der Tarifvertrag gilt seit Juni 2023, verhandelt hatte ihn ver.di mit der Geschäftsführung. Mit dem sogenannten “Eisenberger Tarif” wurde erstmals im Krankenhausbereich die 35-Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich eingeführt. Ein Abschluss, der zeigt, dass auch die Arbeitgeber massiv davon profitieren, wenn sie ihren Beschäftigen gute tarifliche Leistungen bieten. “Das Beste und Schönste ist, dass ganz viele Menschen sich hier wieder plötzlich bewerben. Und das ist in Zeiten von Fachkräftemängel natürlich wunderbar”, freut sich Geschäftsführer David-Ruben Thies im Gespräch mit unserem Interviewer Hannes Kreschel. Es zeigt sich: Gute Arbeitsbedingungen und angemessener Lohn machen die Pflegebranche als Arbeitgeber wieder attraktiv.
Das Besondere an einem Tarifvertrag ist, dass die ausgehandelten Arbeitsbedingungen für die Mitglieder in den Verbänden unmittelbar und zwingend gelten. Das bedeutet: Nicht jede*r Beschäftigte muss mit dem Arbeitgeber einzeln verhandeln, sondern kann automatisch die Regelungen des Tarifvertrags für sich in Anspruch nehmen. Sie sind so wirksam, als würden sie im Arbeitsvertrag stehen.
Wichtig: Wenn im Arbeitsvertrag etwas Schlechteres als im Tarifvertrag vereinbart wurde, gilt automatisch die (bessere) Regelung des Tarifvertrags (Günstigkeitsprinzip).
Anspruch auf | Gesetz | Tarifvertrag |
---|---|---|
Jahresurlaub | 4 Wochen | Oft bis zu 6 Wochen |
Weihnachtsgeld | Keine Regelung | Je nach Branche anteiliger Prozentsatz eines Monatsgehalts oder Fixbeitrag |
Arbeitszeit | Bis zu 48 Wochenstunden | Je nach Branche zwischen 35 und 40 Wochenstunden |
Übernahme von Auszubildenden | Keine Regelung | Je nach Branche mehrere Monate sowie unbefristete Übernahme |
Vermögenswirksame Leistungen | Keine Regelung | Je nach Branche unterschiedliche Geldleistungen, die nicht direkt augezahlt werden, sondern die der Arbeitgeber in einen Sparvertrag einzahlt |
Urlaubsgeld | Keine Regelung | Je nach Branche anteiliger Prozentsatz eines Monatsgehalts oder Fixgehalt |
Wo steht, ob du Urlaubsgeld erhältst? Wer bekommt Urlaubsgeld? Fest steht: mit Tarifvertrag ist mehr drin. Hier erfährst du mehr.
Mit Tarifvertrag hast du mehr Geld in der Tasche. Tariflöhne sind im Schnitt 11 Prozent höher als Löhne und Gehälter in Betrieben ohne Tarifvertrag. Das zeigt eine Verdiensterhebung des Statistischen Bundesamts (Sonderauswertung für den DGB für das Jahr 2023).
Auch für Arbeitgeber sind Tarifverträge wichtig und sinnvoll. Nicht nur, weil sie ein gutes Betriebsklima und zufriedene, motivierte Beschäftigte schaffen, sondern auch weil sie allen Unternehmen gleiche Wettbewerbsbedingungen garantieren. Vor allem Flächentarifverträge, die für eine ganze Branche gelten, sorgen für fairen Wettbewerb und verhindern Dumping Konkurrenz. Zudem haben Unternehmen während der Laufzeit des Tarifvertrages Planungssicherheit für alle im Tarifvertrag geregelten Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen.
Der Staat profitiert ebenfalls – denn er muss sich um die vielen Bereiche, die Arbeitgeber und Gewerkschaften unter sich regeln, nicht kümmern. Er kann sich auf stabile Verhältnisse in der Wirtschaft und eine soziale Ausgewogenheit bei den Arbeitsbedingungen in von Tarifverträgen geregelten Bereichen verlassen.
Ein starkes Tarifvertragssystem ist ein wertvolles öffentliches Gut!
01. November 2023
Datei herunterladenTarifverträge werden zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden oder einzelnen Arbeitgebern abgeschlossen.
Was genau gefordert wird, legen die Gewerkschaftsmitglieder fest. Tarifverträge werden in regelmäßigen Abständen neu verhandelt. Steht eine Tarifrunde an, werden zunächst die Mitglieder der jeweiligen Gewerkschaft zu ihren Wünschen befragt. Anschließend erarbeiten die Tarifkommissionen, die sich in unterschiedlicher Größe entsprechend dem räumlichen Geltungsbereich der Tarifverträge zusammensetzen, die konkreten Forderungen.
Wenn der Arbeitgeber den Tarifvertrag nicht oder nur in geänderter Form abschließen will, haben die Gewerkschaftsmitglieder das Recht, für ihre Forderungen die Arbeit niederzulegen und zu streiken. Damit üben sie wirtschaftlichen Druck auf den Arbeitgeber aus, um so gleichberechtigt die Arbeitsbedingungen aushandeln zu können.
Da während eines Streiks kein Lohn oder Gehalt gezahlt wird, springt in diesem Fall die Gewerkschaft für ihre Mitglieder ein. Es wird eine Streikunterstützung (das sogenannte Streikgeld) gezahlt, die aus Mitgliedsbeiträgen finanziert wird. Durch die finanzielle Absicherung ist die Gewerkschaft in der Lage, ihre Verhandlungen unabhängig und selbst organisiert zu führen. Aus diesem Grund werden auch Gewerkschaftssekretär*innen auch von Mitgliedsgeldern bezahlt.
Erfahre hier, was eine Urabstimmung ist und wie sie abläuft.
Wenn die Verhandlungen festgefahren sind und keine Einigung in Sicht ist, kann eine Schlichtungskommission eingesetzt werden. Ziel ist es, einen Streik abzuwenden und doch noch am Verhandlungstisch zu einem Ergebnis zu kommen.
Die Schlichtungskommission ist je zur Hälfte mit Vertreter*innen beider Verhandlungsparteien besetzt. Außerdem benennen Gewerkschaften und Arbeitgeber jeweils eine*n unabhängige*n Schlichter*in. Diese Personen übernehmen abwechselnd den Vorsitz und haben damit die entscheidende Stimme, wenn es innerhalb der Kommission zu einem Patt kommt.
Aufgabe der Schlichtungskommission ist es, eine Einigungsempfehlung für die beiden Tarifparteien zu entwickeln. Nehmen Gewerkschaften und Arbeitgeber die Empfehlung an, sind die Tarifverhandlungen damit beendet. Wenn nicht, kann es zu einem Streik kommen.
Während der Schlichtung und den Verhandlungen über einen Einigungsvorschlag herrscht Friedenspflicht. In dieser Zeit darf nicht gestreikt werden.
Ohne das Streikrecht sind Tarifverhandlungen kollektives Betteln. Doch wer darf eigentlich streiken und wann ist ein Streik rechtmäßig? Das und mehr beantworten wir in unserem Ratgeber.
Nach dem Günstigkeitsprinzip gilt immer die für die Arbeitnehmer*innen günstigere Regelung.
Beispiel: Wenn im Arbeitsvertrag eine Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden steht, im Tarifvertrag aber eine 37-Stunden-Woche vereinbart wurde, müssen die zusätzlichen 1,5 Stunden nicht gearbeitet werden. Die Regelung des Tarifvertrags tritt an die Stelle der Regelung im Arbeitsvertrags. Umgekehrt gilt das jedoch nicht: Wenn die Vereinbarungen des individuellen Arbeitsvertrags für den oder die Beschäftigen vorteilhafter sind, kommt der Tarifvertrag an dieser Stelle nicht zur Geltung. Ist beispielsweise im Arbeitsvertrag ein Stundenlohn von 20 Euro vereinbart, obwohl der Tarifvertrag nur 17,50 Euro vorsieht, bleibt es bei dem Verdienst von 20 Euro pro Stunde.
In besonderen Fällen können Tarifverträge auch zur Anwendung kommen, wenn keine Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft oder dem Arbeitgeberverband vorliegt – und zwar dann, wenn der Staat, also die zuständigen Bundesminister*innen oder Landesminister*innen, den Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt hat.
Haben eine Gewerkschaft und ein Arbeitgeberverband einen Tarifvertrag abgeschlossen, können sie gemeinsam beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales oder bei der obersten Arbeitsbehörde eines Landes beantragen, diesen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich zu erklären.
Folgende Voraussetzungen sind nötig:
Stimmt der Tarifausschuss (mit je 3 Vertreter*innen der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände) zu, gelten die Regelungen des Tarifvertrags künftig auch für alle bislang nicht tarifgebundenen Beschäftigten der jeweiligen Branche. Damit werden Mindestarbeitsbedingungen für die Beschäftigten gesichert und Dumping-Wettbewerb durch tarifflüchtige Unternehmen unterbunden.
Heute werden weit weniger Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt als früher: Gab es im Jahr 2000 noch 113 erfolgreiche Anträge auf Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) nach dem Tarifvertragsgesetz, waren es im Jahr 2018 nur noch 26.
Um das Instrument zu stabilisieren, wurde das Gesetz 2014 reformiert: Unter anderem wurde die Regel abgeschafft, nach der die Allgemeinverbindlicherklärung nur erlaubt ist, wenn der betreffende Tarifvertrag bereits für mindestens die Hälfte der Beschäftigten der Branche gilt. Als neues Kriterium wurde die "überwiegende Bedeutung" zur Begründung des "öffentlichen Interesses" des Tarifvertrags eingeführt. Das brachte jedoch bisher keine Verbesserung, da nach wie vor bei der Prüfung des Antrags strenge Kriterien gelten.
Hinzu kommt die Veto-Möglichkeit der Arbeitgeberseite: Selbst wenn sich Arbeitgeber und Gewerkschaften der betroffenen Branche einig sind, kann sich die Spitzenorganisation der Arbeitgeber im Tarifausschuss noch dagegen stellen und so die Allgemeinverbindlicherklärung verhindern.
Wir als DGB fordern deshalb die Nachbesserung des Tarifvertragsgesetzes. Anstatt des bislang nötigen Mehrheitsbeschlusses sollten Allgemeinverbindlicherklärung-Anträge im Tarifausschuss nur noch mit Mehrheit abgelehnt werden können. Wir fordern, das "öffentliche Interesse" so zu definieren, dass es dem Ziel des Gesetzes entspricht und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt.
Demnach ist ein öffentliches Interesse insbesondere gegeben, wenn die Allgemeinverbindlicherklärung geeignet ist
Das Grundgesetz garantiert Gewerkschaften und Arbeitgebern die Koalitionsfreiheit, sie dürfen damit – als Grundrecht geschützt – Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen selbstständig und unabhängig vom Staat regeln. Diese Koalitionsfreiheit garantiert den Arbeitnehmer*innen, sich in Gewerkschaften zusammenzuschließen und Tarifverträge abzuschließen. Artikel 9 Absatz 3 GG Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie:
"Das Recht zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen rechtswidrig".
Das Tarifvertragsgesetz regelt, was ein Tarifvertrag ist – und wer Tarifverträge abschließen kann:
"Der Tarifvertrag regelt die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien und enthält Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betrieblichen und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen können" (§1 TVG).
Die "Tarifvertragsparteien sind die Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigungen von Arbeitgebern" (§2, Satz 1 TVG).
In Deutschland gibt es neben den Branchenmindestlöhnen seit 1. Januar 2015 auch einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Vor dessen Einführung argumentierten Gegner*innen, ein Mindestlohn per Gesetz bedeute einen Eingriff in die Tarifautonomie. Denn schließlich, so die Behauptung, sollten die Tarifpartner*innen bestimmen, wie hoch der Lohn von Beschäftigten ist.
Doch diese Behauptung ist ein klassisches Fehlargument. Denn die Löhne konnten und können natürlich weiterhin von den Tarifpartner*innen frei verhandelt werden, der Mindestlohn ist nur eine sichernde Untergrenze. Diese darf nicht unterschritten werden. Darüber kann sich die Tarifautonomie frei, ohne Eingriffe des Staates, entfalten.
In vielen Branchen verweigern sich Arbeitgeber Tarifabschlüssen – oder die Verhandlungsmacht der Beschäftigten reicht nicht aus, um auskömmliche Entgelte zu vereinbaren, sodass Mindestlöhne die nicht genutzte Tarifautonomie ersetzen müssen. Der gesetzliche, flächendeckende Mindestlohn stellt dabei das absolute Minimum dar; er muss regelmäßig angepasst werden. Die Branchenmindestlöhne werden weiterhin – darüber liegend – von den Tarifpartnern ausgehandelt. Und die beste Lösung sind reguläre Tarifverträge, die höhere Entgelte und viele andere Arbeitsbedingungen regeln.
Es war und ist ein Meilenstein für die deutsche Demokratie: das Tarifvertragsgesetz. Vor 75 Jahren, am 9. April 1949, wurde es beschlossen – und ist damit älter als das Grundgesetz und die Bundesrepublik Deutschland. Das Tarifvertragsgesetz (TVG) regelt grundsätzlich, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber Tarifverträge eigenständig aushandeln. Freie Tarifverhandlungen waren im Nationalsozialismus verboten. Deswegen war es den Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg so wichtig, die Demokratie in den Betrieben zu verankern und die Tarifautonomie zum Grundstein der deutschen Arbeitswelt zu machen.
Dieser Auftrag ist auch heute aktuell. Immer mehr Arbeitgeber halten sich nicht mehr an dieses Grundprinzip und weigern sich, Tarifverträge mit den Gewerkschaften auszuhandeln. So verhindern sie, dass ihre Beschäftigten gute Arbeitsbedingungen und eine angemessene Bezahlung erhalten. Nur noch etwa die Hälfte der Beschäftigten arbeitet in Unternehmen mit Tarifvertrag. Wir setzen uns deshalb für eine Tarifwende ein – damit wieder mehr Arbeitnehmer*innen vom Schutz profitieren, den Tarifverträge bieten.