Der Umfang der wirtschaftspolitischen Berichterstattung durch ARD und ZDF ist beachtlich: Nachrichtensendungen, Talkshows und Politmagazine widmen rund ein Fünftel ihrer Sendezeit wirtschaftspolitischen Fragen. Allerdings wird die Themensetzung stark von der Bundespolitik getrieben und die Kontinuität und Einordnung der Berichterstattung lassen zu wünschen übrig. Darüber hinaus mangelt es insbesondere den Wirtschaftsmagazinen an Perspektivenvielfalt. Das Publikum wird hier überwiegend als Verbraucher*innen adressiert, der Blickwinkel von Arbeitnehmer*innen spielt kaum eine Rolle. Das sind zentrale Ergebnisse der Studie “Viel Kraft – wenig Biss. Wirtschaftsberichterstattung in ARD und ZDF”. Die Analyse wird heute von der Otto Brenner Stiftung (OBS) und dem Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) gemeinsam veröffentlicht.
Für die Untersuchung wurden knapp 5.800 Sendungen mit rund 3.400 Stunden Programm vom Herbst 2022 bis Frühjahr 2023 aufgezeichnet und mittels computergestützter Methoden der Medienanalyse ausgewertet. „Wir haben uns intensiv mit den verschiedenen Sendungen beschäftigt, die wirtschaftspolitische Inhalte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen transportieren. Dabei hat uns das insgesamt große Sendevolumen für Wirtschaftsthemen sowie die Vielfalt an Formaten und Perspektiven positiv überrascht“, sagt Studienautor Gerret von Nordheim. Mit einem hohen Wirtschaftsanteil, starken eigenen Themen und einer ausgeprägten, kritischen Perspektive stechen die politischen Magazine besonders heraus. Die wirtschaftspolitische Berichterstattung anderer Formate sei hingegen “vergleichsweise zahm – in dem Sinne, dass sie sich in weiten Teilen eng an der Agenda des politischen Berlins orientiert und wenig eigene Themenschwerpunkte setzt, mit denen sie die Verantwortlichen konfrontieren würde”, so Autor Henrik Müller. Die Konzentration auf den tagespolitischen Streit der Berliner Politik hat drüber hinaus zur Folge, so ein weiteres Ergebnis der Untersuchung, dass sich die Berichterstattung oft weniger mit der Sache selbst als mit dem politischen Tauziehen drumherum und dem Austausch von Meinungen und Forderungen befasst. Insbesondere beim Thema Sozialpolitik leide darunter die Qualität der Beiträge merklich, die Informationsdichte der Beiträge sei gering ausgeprägt, konstatieren die Autoren. Für Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung, kein zufriedenstellender Zustand: “Ohne die Nennung nachprüfbarer Fakten lässt sich eine sachbezogene Debatte nicht führen. Insbesondere bei sensiblen Themen, wie der im politischen Raum oftmals auch sozialpopulistisch geführten Debatte um das Bürgergeld, müssen ARD und ZDF daher faktenorientiert und sachlich berichten.” Studienautor Müller sieht die Sender hier in besonderer Verantwortung: „Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist ein wichtiges Instrument, um populistische Verkürzungen und Zuspitzungen zurückzudrängen. Es sollte diese Rolle aktiver ausfüllen. Der nüchterne wirtschaftspolitische Blick ist bestens geeignet, die inhaltliche Leere des Populismus zu entlarven.“
Kritisch beleuchten die Forscher auch die Rolle der acht untersuchten Wirtschaftsmagazine. Diese adressieren ihr Publikum in rund 65 Prozent der untersuchten Programminhalte als Verbraucher*innen. Die Arbeitswelt spielt in diesem Genre keine prägende Rolle, Tarifkonflikte oder Mitbestimmungsfragen kommen im Untersuchungszeitraum kaum vor. “Dass die Zuschauer*innen der Wirtschaftsmagazine überwiegend als Konsument*innen von Produkten angesprochen und kaum in der Rolle als arbeitende Menschen gezeigt werden, vermittelt einen stark verkürzten Blick auf Wirtschaft und wird der Lebenswelt der Zuschauer*innen nicht gerecht”, so Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Eine weitere Folge der einseitigen Ausrichtung: Der Fokus der Magazinbeiträge liegt auf individuellen Reaktionsmöglichkeiten auf wirtschaftliche Ereignisse, nur selten finden Konfrontationen mit Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft statt.
Um einige der aufgezeigten Schwachstellen künftig zu vermeiden, schlagen die Autoren vor, ein “Ständiges Wirtschaftspolitisches Format” in die Berichterstattung von ARD und ZDF zu integrieren. Denn grundsätzlich, so heißt es in der Studie, habe der öffentlich-rechtliche Rundfunk allemal das Potential, “in einer Welt der überwiegend digitalen Mediennutzung die Balance zwischen Aufklärung und Aufmerksamkeit gerade für den Wirtschaftsjournalismus zu gewährleisten”.
Das OBS-Arbeitspapier auf der Webseite der Otto-Brennerstiftung
“Viel Kraft, wenig Biss: Wirtschaftsberichterstattung in ARD und ZDF”