Jetzt beginnt wieder die Erntezeit in Deutschland, Anfang April ist der offizielle Startschuss zum Spargelstechen. Viele Menschen aus dem Ausland leisten wieder die Ernte. Damit beginnt aber auch leider die Zeit für viele Beschäftigte, nicht menschenwürdig behandelt zu werden. Der Jahresbericht zur Saisonarbeit 2024 der Initiative Faire Landarbeit wirft ein Licht darauf.
Der Bericht “Saisonarbeit in der Landwirtschaft 2024” hat in diesem Jahr den Fokus auf das Thema “Miete und Unterkünfte” gelegt. Das hat seinen Grund, denn Jahr für Jahr werden die Mieten für die Beschäftigten höher und die nicht renovierten Unterkünfte immer schäbiger. Zwischen 18 und 21 Euro haben die Unterkünfte im vergangenen Jahr pro Tag für Bett und Mahlzeit gekostet, damit sind die Mieten gegenüber dem Vorjahr um 2 bis 3 Euro gestiegen. Dabei werden die gesetzlich vorgeschriebenen sogenannten Sachbezugswerte, also die Grenzen, die die Lohnabzüge dämpfen sollen, in Einzelfällen bis zu knapp 350 Euro überschritten. Ein Trick dabei ist, die Unterkünfte in einer Art Immobiliengesellschaft auszulagern. So können die Mieten nicht vom Lohn direkt abzogen werden und müssen separat bezahlt werden. Diese sind dann aber so hoch, dass im Endeffekt noch nicht einmal der gesetzliche Mindestlohn eingehalten wird. Besonders prekär wird die Situation für die Feldarbeiter*innen, wenn sie nicht arbeiten können, deshalb keinen Lohn erhalten – was eigentlich nicht zulässig ist – und die Mieten weiterbezahlen müssen. Gerade im vergangenen Jahr hat es oft heftig geregnet, so dass an Erntearbeit nicht zu denken war.
Schlechte Unterkünfte und unbezahlte Mehrarbeit
Das 2. große Problem ist, dass die Unterkünfte oftmals in einem verheerenden Zustand sind: es handelt sich um ungedämmte Metallcontainer, die Möbel sind abgenutzt, die Matratzen sind durchgelegen, die häufig viel zu wenigen sanitären Anlagen sind marode und anderes mehr. Verstöße gegen die Normen der Arbeitsstättenregeln sind an der Tagesordnung. Die schlechten Wohnbedingungen sind auch schon in den Blick von internationalen Organisationen, beispielsweise im Bericht Oxfam 2023, genommen worden. Hinzu kommt, dass in vielen Betrieben die Zimmer überbelegt werden. Manchmal müssen sich 6, 10 oder gar 14 Beschäftigte ein Zimmer teilen. Was die Berater*innen immer wieder von einigen Betriebsleitern zu hören bekommen haben ist die Vorstellung, “solche Zustände sind die Beschäftigen von zu Hause doch gewohnt”. Im Juni vergangenen Jahres hat die Bundesrepublik Deutschland das ILO-Übereinkommen (ILO: Internationale Arbeitsorganisation) ratifiziert. Danach müssen die Arbeitgeber den Saisonarbeitskräften menschenwürdige Unterkünfte zur Verfügung stellen. Die Realität ist davon weit entfernt.
Die Berater*innen der Initiative Faire Landarbeit wurden auch im vergangenen Jahr wieder mit den Themen Arbeitszeit und Entlohnung konfrontiert. Manchmal mussten die Saisonarbeiter*innen bis zu 12 Stunden am Tag arbeiten, dann fielen wieder ganze Tage aus, die nicht entlohnt wurden. Die Akkordarbeit gestaltete sich häufig als intransparent, die Beschäftigten hatten keine Möglichkeit, die geernteten Mengen nachzuprüfen. Weiterhin werden für die Frauen und Männer sogenannte Erntehelferversicherungen abgeschlossen. Diese privaten Gruppenkrankenversicherungen decken aber längst nicht das ab, was eine gesetzliche Krankenversicherung bietet, beispielsweise psychische Erkrankungen, Vorerkrankungen wie Diabetes oder auch notwendige Reha-Therapien.
Gewalt gegen Frauen
In dem Jahresbericht 2024 wird erstmals auch das Thema sexualisierte Gewalt gegen Frauen thematisiert, weil die Initiative in den vergangenen Jahren immer wieder auf mögliche Fälle hingewiesen wurde. Etwa 44 Prozent der Saisonbeschäftigten sind laut statistischem Bundesamt Frauen. Ihre Situation ist schwierig und gefährlich zugleich: In der Regel sind sie und ihre Familien im Heimatland von dem erzielten Einkommen abhängig, sie sprechen kein Deutsch, wohnen in abgeschiedenen Unterkünften und dergleichen mehr. In den bekannt gewordenen Fällen ging die sexualisierte Gewalt immer von Vorarbeitern aus, die ihre Machtposition missbrauchten. Die Faire Landarbeit empfiehlt hier an sich Selbstverständlichkeiten wie abschließbare Zimmer und von Männern getrennte sanitäre Anlagen. Auch spezifische Hilfsanlaufstellen sollten zur Verfügung stehen.
Die Erntesaison in Deutschland erstreckt sich in der Regel von März bis Oktober. Im Jahr 2023 arbeiteten knapp 243.000 Menschen – das ist der jüngste statistisch erfasste Wert – aus dem Ausland auf deutschen Feldern. Geerntet werden beispielsweise Spargel, Beeren, Gurken, Kürbisse, Äpfel und Weintrauben. Im Jahr 2024 ging die Initiative Faire Landarbeit mit ihren Teams im gesamten Bundesgebiet 40 Mal aufs Feld, dabei traten sie mit etwa 3.100 Saisonbeschäftigten in direkten Kontakt. Zusätzlich klärten die Berater*innen in diesem Jahr auch über Arbeits- und Gesundheitsschutz auf, insbesondere ging es um die Themen UV-Strahlung und Hitzestress. Wie schon in den Vorjahren kamen die meisten Saisonarbeitskräfte aus Rumänien, angetroffen wurden aber auch Frauen und Männer aus Polen, Bulgarien, Kroatien, Ungarn, Georgien, der Ukraine, Usbekistan, der Mongolei und Indien.
Die Initiative Faire Landarbeit ist ein Bündnis der gewerkschaftsnahen Beratungsstellen Faire Mobilität, dem Europäischen Verein für Wanderarbeiterfragen (EVW) und dem Beratungsnetzwerk “Gute Arbeit” von Arbeit und Leben, der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), kirchlichen Beratungsstellen sowie des PECO-Instituts. Seit dem Jahr 2018 erscheint regelmäßig der Jahresbericht zur Saisonarbeit in der Landwirtschaft.
Harald Schaum, Vizebundesvorsitzender der IG BAU:
“Vielfach herrscht immer noch die Meinung vor, die aus dem Ausland kommenden Saisonarbeiter*innen auf unseren Feldern sind Beschäftigte zweiter Klasse. Da kann man schon mal weniger als den Mindestlohn bezahlen, da reichen Unterkünfte mit Barackencharakter, da ist auch keine volle Krankenversicherung notwendig. Da sagen wir: vollkommen falsch. Die Saisonarbeiter*innen sind gleichwertige Beschäftigte, wie wir sie in allen Betrieben in ganz Deutschland und Europa finden. Wir alle wollen doch frisches Gemüse, hochwertiges Obst und vor allem exzellenten Spargel – sprich erste Klasse Qualität - auf dem Teller. Dann brauchen wir aber auch erste Klasse Beschäftigte auf dem Feld.”
Anja Piel, DGB-Bundesvorstandsmitglied:
“Saisonbeschäftigung ist kein zeitlich befristetes Thema, das nur ein paar Monate im Jahr relevant ist. Saisonbeschäftigte halten in vielen Bereichen der Wirtschaft – von Schlachtfabriken und Transport über Paketdienste bis hin zur häuslichen Pflege und dem Baugewerbe – das ganze Jahr hindurch den Betrieb am Laufen. Sie übernehmen harte, wichtige Arbeit unter teils schwierigen Bedingungen und niedrigen Löhnen, weil in Deutschland sonst oft nicht genügend Fach- und Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Dieser Einsatz verdient Schutz statt Ausbeutung. Deshalb müssen die Kontroll- und Aufsichtsbehörden konsequenter prüfen und Verstöße härter sanktionieren.”