Mit Blick auf die Arbeitsmarktzahlen sagte Anja Piel, DGB-Vorstandsmitglied:
„In Deutschland fehlen immer mehr Arbeitskräfte. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit meldet einen Höchststand offener Stellen seit der Wiedervereinigung. Im ersten Quartal 2022 gab es bundesweit rund 1,74 Millionen unbesetzte Stellen. Gleichzeitig fehlt in rund 44 Prozent der Unternehmen das notwendige Fachpersonal. Nahezu alle Wirtschaftszweige sind betroffen – und bedingt durch die demographische Entwicklung droht die Zahl der Erwerbstätigen auch in den kommenden Jahren weiter zu schrumpfen.
Die Bundesregierung muss jetzt alle Register in der Arbeitsmarktpolitik ziehen, damit die Bundesagentur für Arbeit dem Fachkräftemangel wirkungsvolle Instrumente entgegensetzen kann. Fachkräfte zu gewinnen ist kein Hexenwerk: Mehr Aus- und Weiterbildung, gute Arbeitsbedingungen, tarifliche Löhne, bessere Vereinbarkeit von Leben, Familie und Arbeit sind der Schlüssel.
Viel mehr junge Menschen brauchen eine passende berufliche Ausbildung. Wer bereits im Berufsleben steht, benötigt angesichts von Digitalisierung und Energiewende rechtzeitig gute Angebote für Weiterbildung und Qualifizierung. Der DGB fordert deshalb seit langem ein Recht auf Weiterbildung.
Und auch Unternehmen müssen sich bewegen: In vielen Branchen, in denen Fachkräfte fehlen, sind Probleme hausgemacht. Beispiel Pflege: Obwohl der Bedarf an Arbeitskräften hoch ist, verlassen viele den Beruf wegen hoher Belastungen nach wenigen Jahren wieder. Ausreichend Personal für die Versorgung pflegebedürftiger Menschen, verlässliche Arbeitszeiten und bessere Bezahlung würden mindestens 300.000 Vollzeit-Pflegekräften zurück in ihren Beruf locken oder Teilzeitkräfte dazu anregen, ihre Arbeitszeit aufstocken. Das zeigen Zahlen einer aktuellen Studie der Hans-Böckler-Stiftung.
Fachkräftepotential gibt es auch unter Älteren und Frauen. Arbeitgeber müssen zum einen mehr Menschen einstellen, die älter als 55 sind, und Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen altersgerecht gestalten. Zum anderen hängen viel zu viele gut ausgebildete Frauen in Minijobs oder ungewollter Teilzeit fest.
Auch Zuwanderung spielt bei der Fachkräftefrage eine wichtige Rolle. Für den DGB ist klar: Zugewanderte dürfen keine Arbeitnehmer zweiter Klasse sein. Die Koalition muss die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen endlich erleichtern und faire Vermittlungsbedingungen gewährleisten. Zugewanderte müssen außerdem gemäß ihrer Qualifikationen beschäftigt werden, sonst verschenken wir wertvolle Potentiale."