Warum findet der Tag der Arbeit am 1. Mai statt?
Die Wurzeln des 1. Mai in den USA
Der 1. Mai galt in den USA bis zum Ende des 19. Jahrhunderts als "moving day“, also als Stichtag, zu dem viele Arbeitsverträge endeten oder neu abgeschlossen wurden. Er war oft mit dem Wechsel des Arbeitsplatzes oder des Wohnortes verbunden. In unserer kurzen Geschichte des 1. Mai erfährst du, wie daraus der Tag der Arbeit, der Kampf- und Feiertag der Gewerkschaften wurde.
1890: Erster internationaler Tag der Arbeit
100 Jahre nach der Französischen Revolution kamen am 14. Juli 1889 in Paris sozialistische Gewerkschaften und Parteien aus der ganzen Welt zusammen. Sie beschlossen, sich den Plänen des amerikanischen Arbeiterbundes für eine weltweite Demonstration am 1. Mai 1890 anzuschließen. Eine der Kernforderungen war, den Arbeitstag auf acht Stunden festzulegen.
Auch wenn es damals zunächst um den 1. Mai 1890 ging – seitdem ist der 1. Mai der zentrale Akti-ons- und Feiertag der Arbeiterbewegung weltweit.
1. Mai 1886 – die Vorgeschichte: Tag der Arbeit in den USA und Haymarket Massaker
Die Vorgeschichte des Tags der Arbeit begann 1865, zum Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs, als die amerikanischen Gewerkschaften erstmals die Forderung nach der Einführung des 8-Stunden-Tags erhoben – damals noch eine Utopie.
Am 1. Mai 1886 traten in den USA rund 400.000 Beschäftigte aus 11.000 Betrieben in einen Generalstreik. Allein 90.000 Arbeiter*innen waren es in Chicago, wo sich Tausende auf dem Haymarket versammelten. Im Vorfeld hatten sich Arbeiter*innen in einer Fabrik für landwirtschaftliche Geräte gegen die unerträglichen Arbeitsbedingungen und den 12-Stunden-Tag gewehrt. Es folgte ein mehrtägiger Streik in Chicago. Am 4. Mai kam es zu einer tragischen Eskalation: Während sich erneut Tausende Demonstrant*innen am Haymarket Square versammelten, wurde eine Bombe in die Menschenmenge geworfen. Zwölf Menschen, darunter ein Polizist wurden getötet. Sechs weitere Polizisten starben später an ihren Verletzungen. Die Polizei eröffnete daraufhin das Feuer, tötete und verletzte eine unbekannte Anzahl Demonstrant*innen.
Nach Darstellung der Polizei warfen Anarchisten die Bombe, obwohl es dafür keine Beweise gab. Acht Männer, darunter einige Deutschstämmige, die an der Organisation des Streiks beteiligt waren, wurden angeklagt und für schuldig befunden. Vier wurden hingerichtet. Bis heute ist unklar, wer für die Bombe verantwortlich ist. Die Haymarket-Versammlung in Chicago markiert einen wichtigen Wendepunkt im Bewusstsein der US-amerikanischen Arbeiterklasse.
1890–1918: Die Anfänge des 1. Mai in Deutschland
Der Beschluss des Internationalen Arbeiterkongresses in Paris, den Kampf um den 8-Stunden-Tag weltweit zu führen, fiel mitten in die größte Streikwelle, die das Deutsche Reich bis dahin erlebt hatte. Bis Dezember 1889 hatten 18 Gewerkschaften ihre Absicht erklärt, am kommenden 1. Mai zu streiken. Diese Erklärungen waren nicht unumstritten. Als die Mai-Feier vorbereitet wurde, galt in Deutschland noch das Sozialistengesetz: Die sozialdemokratische Partei, der viele Gewerkschafter*innen nahestanden, war zwar zu den Reichstagswahlen zugelassen, aber als Organisation verboten.
Die Arbeitgeber wehrten sich gegen die Streiks am 1. Mai und drohten mit Aussperrungen, Entlassungen und Schwarzen Listen. Wer auf einer dieser Listen stand, hatte keine Chance mehr auf einen Arbeitsplatz in der näheren Umgebung. Nur wenige Unternehmer, wie die Fabrikanten Heinrich Freese oder Ernst Abbe (Zeiss Jena), der 1900 den 1. Mai als bezahlten, zunächst halben, Feiertag einführte, bemühten sich um sozialen Ausgleich und Deeskalation des Klassenkonflikts.
1890: Vorläufer des DGB – der erste deutsche Gewerkschaftsbund wird gegründet
Am 1. Mai 1890 beteiligten sich etwa 100.000 Arbeiter*innen an Streiks, Demonstrationen und so genannten Maispaziergängen – trotz der angedrohten Sanktionen. Die regionalen Schwerpunkte bildeten Berlin und Dresden, aber auch Hamburg, wo es zu einem besonders erbitterten Arbeitskampf mit zeitweise 20.000 Beteiligten kam. Die Gewerkschaften konzentrierten ihre Aktionen auf Hamburg, wo sich die Auseinandersetzungen bis in den Spätsommer hinzogen.
Schließlich gelang es ihnen, die so genannte Koalitionsfreiheit zu sichern – also das Recht, sich zu Gewerkschaften zusammenzuschließen. Die im internationalen Vergleich bescheidene Forderung nach einem 9-Stunden-Tag ließ sich jedoch nicht durchsetzen. Es blieb, wie in den meisten anderen kapitalistischen Ländern, zunächst bei 10 Stunden an 6 Tagen als Regelarbeitszeit. Doch die Erfahrung von gemeinsamer Aktion und Solidarität bewog die Vertreter*innen der Gewerkschaften zur Gründung eines Dachverbandes, der 1890 als “Generalcommission der Gewerkschaften Deutschlands” unter Führung von Carl Legien gegründet wurde: Dies war der Vorläufer des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
Die Jahre 1919 bis zur deutschen Teilung
1919–1932: Der 1. Mai in der Weimarer Republik – der Kampf um den Feiertag
Das Schicksal des 1. Mai und des 8-Stunden-Tags in der Weimarer Republik war wechselhaft. Nach dem Ende des 1. Weltkriegs und nachdem die Republik am 9. November 1918 ausgerufen wurde, regierte der Rat der Volksbeauftragen, eine seit November 1918 amtierende kommissarische Revoluti-onsregierung aus SPD und Unabhängiger Sozialdemokratischer Partei (USPD). Dieser Rat setzte als eine der ersten Amtshandlungen die Arbeitszeitverkürzung auf 8 Stunden pro Tag durch. Den 1. Mai erklärte die Nationalversammlung im April erstmals 1919 zum gesetzlichen Feiertag. Das Gesetz war aber zunächst nur auf den 1. Mai 1919 begrenzt. Die spätere Regelung sollte in eine internationale Lösung eingebunden werden und nach Friedensschluss und Verabschiedung der Verfassung erfolgen.
Versuche des 1919 gegründeten Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) – eines weiteren Vorgängers des DGB – und der SPD, den Tag der Arbeit über 1919 hinaus als gesetzlichen Feiertag zu sichern, blieben erfolglos. Lediglich in den Ländern Braunschweig, Lübeck, Sachsen und Schaumburg-Lippe hatte er nach 1922 Bestand. Viele Unternehmer begriffen Maifeiern nach wie vor als Provokation.
1929: “Blutmai” in Berlin – die Arbeiterbewegung ist zerrissen
In der Arbeiterbewegung selbst war die Frage, ob und wie der 1. Mai begangen werden sollte, sehr umstritten. Der Streit in der sozialistischen Arbeiterbewegung zog auch die “Spaltung” ihres höchsten Feiertags nach sich. Während die Kommunist*innen stärker den Kampfcharakter betonten, begingen ihn die Sozialdemokrat*innen eher als Festtag.
Ein trauriger Höhepunkt der Konflikte zwischen KPD und SPD war der 1. Mai 1929 in Berlin. Karl Zörgiebel, der sozialdemokratische Polizeipräsident von Berlin, hatte wegen befürchteter Unruhen ein Demonstrationsverbot über die Stadt verhängt. Die KPD ignorierte das Verbot und veranstaltete Demonstrationen, in deren Verlauf es zu wilden Schießereien kam. Dabei wurden 28 Menschen getötet, darunter auch völlig Unbeteiligte. Der Tag ging als Blutmai in die Geschichte ein und steht symbolisch für die tiefe Zerrissenheit der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik. Aber es sollte noch schlimmer kommen.
1933–1945: “Tag der Nationalen Arbeit” unter den Nationalsozialisten
Der New Yorker Börsencrash vom 24. Oktober 1929, bekannt als “Schwarzer Freitag”, zog auch die deutsche Wirtschaft in den Abgrund. Bis 1932 wurden über 6 Millionen Menschen arbeitslos. Das entsprach einer Arbeitslosenquote von bis zu 33 Prozent. Die Grundlagen der parlamentarischen Demokratie waren bereits 1930 ausgehöhlt: “Präsidialkabinette”, die vom Reichspräsidenten ernannt wurden, regierten auf der Grundlage von Notverordnungen an den parlamentarischen Mehrheiten vorbei.
Die Gewerkschaften sahen sich in der Defensive. Fast 44 Prozent ihrer Mitglieder waren arbeitslos. Die Gewerkschaftsführungen gingen zu Beginn des NS-Regimes davon aus, dass etwas Ähnliches zu erwarten sei wie unter dem Sozialistengesetz. Sie glaubten zunächst, ihre Verbände als unpolitische berufsständische Organisationen durch eine kurze Zeitspanne der NSDAP-Herrschaft führen zu können. Eine tragische Fehleinschätzung. Hitler wollte die demokratischen, unabhängigen Gewerkschaften aus dem Weg räumen., Eine Schlüsselrolle hierbei sollte die Mai-Feier 1933 einnehmen. Die Nazis planten, am 2. Mai die Gewerkschaftshäuser zu besetzen und die Gewerkschaften gleichzuschalten. So kam es dann auch. Hitler ließ die Gewerkschaften am 2. Mai 1933 zerschlagen, ihre Häuser von SA- und SS-Trupps besetzen und zahlreiche Funktionäre verhaften, verfolgen und ermorden.
Der 1. Mai überlebte die NS-Zeit auch deshalb, weil er dem Regime als hervorragende Kulisse für Paraden, Aufmärsche und Leistungsschauen der deutschen Industrie diente. Die Übernahme des alten Feiertags der Arbeiterbewegung ging sehr weit, aber vollständig ist sie den Nationalsozialisten nie gelungen. Der 1. Mai war bis 1945 immer wieder Anlass für Aktionen von Oppositionellen. Sie traten mit symbolträchtigen, oft waghalsigen Aktionen an die Öffentlichkeit. Zum Beispiel fällten Unbekannte schon im Sommer 1933 eine von Hitler am 1. Mai auf dem Tempelhofer Feld in Berlin gepflanzte Eiche.
1946-1948: Feiern zwischen Trümmern
1945 fanden an einigen von den alliierten Streitkräften bereits befreiten Orten die ersten freien Mai-Feiern nach 13 Jahren Naziherrschaft statt, organisiert von überlebenden Gewerkschafter*innen, Sozialdemokrat*in-nen, Kommunist*innen. Aber noch gab es an vielen Orten Kampfhandlungen, noch hatte die Wehrmacht nicht kapituliert. Diese ersten Mai-Feiern fanden nur im kleinen Rahmen statt. Im April 1946, noch vor der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches, bestätigte der alliierte Kontrollrat den 1. Mai als Feiertag.
Beginn des “Kalten Krieges”: Bruch zwischen Ost und West
Die Entwicklung in Ost und West verlief bald in sehr unterschiedliche Richtungen, wie schon die Berliner Mai-Kundgebungen 1946 deutlich zeigten. Die SPD in den westlichen Zonen der geteilten Stadt organisierte in den Bezirken Spandau, Neukölln und Schöneberg eigene Demonstrationen, alternativ zu der sehr stark von der SED dominierten zentralen Veranstaltung in Ost-Berlin.
Dennoch hatten viele Berliner*innen die Hoffnung noch nicht aufgegeben, bald wieder gemeinsame Mai-Kundgebungen durchzuführen. Wie viele andere Deutsche hofften sie noch auf die Möglichkeit einer gesamtstaatlichen Entwicklung. Im Frühjahr 1948 war aber endgültig klar, dass es eine solche nicht mehr geben würde. Die ehemals verbündeten Siegermächte USA und UdSSR waren zu Feinden im “Kalten Krieg” geworden.
1949–1989: Der 1. Mai in der DDR
Der 1. Mai war seit 1949 staatlicher Feiertag in der DDR. Am 1. Mai 1951 zog man vom Ostberliner Lustgarten auf den einstigen Schlossplatz, inzwischen "Marx-Engels-Forum“ genannt, das von nun an zum zentralen Kundgebungsplatz wurde. Anders als im Westen Deutschlands wurde der Tag der Arbeit zum staatlich verordneten Ritual, mit dem die Führung sich legitimieren wollte, beispielsweise mit wirtschaftlichen Erfolgen. Die Arbeiter*innen mussten geloben, mehr zu produzieren und besser zu arbeiten. Nicht mehr der Kampf um soziale und politische Rechte, sondern das Bemühen um wirtschaftlichen Fortschritt stand im Mittelpunkt der Kundgebungen.
Seit 1956 wurden die Ostberliner Mai-Feiern mit einer Militärparade nach sowjetischem Vorbild eröffnet. Der martialische Aufmarsch der "gepanzerten Faust der Arbeiterklasse“ veränderte stark das äußere Bild der Mai-Feiern.
1988 wurde die Maikundgebung zur geschlossenen Gesellschaft, denn aus Angst vor oppositionellen Spruchbändern und Demonstrationen ließ die Partei die Straßenzüge um die Karl-Marx-Allee in Ostberlin großräumig von Kampfgruppen und FDJ abriegeln. Das Schauspiel wiederholte sich in ähnlicher Form am 1. Mai 1989, nur dass das offizielle Mai-Komitee diesmal mit Blick auf die Demokratisierungsbemühungen Gorbatschows in der Sowjetunion auf den üblichen Mai-Gruß an alle “Bruderländer” verzichtete.
Anfang November 1989, wenige Tage vor dem Mauerfall, formulierte die Schriftstellerin Christa Wolf diesen mutigen Satz in einer Rede: „Vorschlag für den Ersten Mai: Die Führung zieht am Volk vorbei“.
1949–1989: Der 1. Mai in der Bundesrepublik
Seit der Gründung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) 1949 beschließen der oder die DGB-Vorsitzende, ihr*e Stellvertreter*in und die Mitglieder des DGB-Bundesvorstands die zentralen Forderungen und das jeweilige Mai-Motto – das die zentralen DGB-Forderungen umfasst. Seit 1951 gibt es zu den politischen Demonstrationen auch einen kulturellen Rahmen mit Musik und Darstellungen. Aus einer zunächst schlichten Feierstunde entwickelte sich eine Mai-Feier, auf der der oder die DGB-Vorsitzende zwischen künstlerischen Darbietungen die gewerkschaftlichen Forderungen erläuterte. Auch in der ARD bzw. in den dritten Fernsehprogrammen wird eine Mai-Ansprache der oder des DGB-Vorsitzenden vor der Tagesschau gesendet.
Tag der Arbeit für alle: Der 1. Mai im vereinten Deutschland
Die Ereignisse um den Fall der Berliner Mauer und die Deutsche Wiedervereinigung 1989/90 veränderten den 1. Mai erneut. Beinahe über Nacht hatte sich mit dem Zusammenbruch des Sozialismus die Welt verändert. Der damalige DGB-Vorsitzende Ernst Breit hielt 1990 vor dem Berliner Reichstag die erste freie gewerkschaftliche Mai-Rede an ein gesamtdeutsches Publikum seit 1932. Zugleich war es der 100. Jahrestag des 1. Mai, eine wahrhaft historische Situation.
Heute ist der Tag der Arbeit noch immer der zentrale Aktionstag der Gewerkschaftsbewegung in Deutschland und vielen anderen Ländern. Für uns, den Deutschen Gewerkschaftsbund, ist er ein Tag, an dem wir jedes Jahr für gute Arbeitsbedingungen und Solidarität auf die Straße gehen. Als das im Jahr 2020 wegen Corona plötzlich nicht möglich war, fand erstmals ein digitaler 1. Mai des DGB statt.