Nationaler Aktionsplan zur Stärkung der Tarifbindung (Kurzfassung)
Positionspapier (Kurzfassung)
Positionspapier30. Juli 2024
Datei herunterladenGute Arbeit gibt es nur mit guten Tarifverträgen.
Im Schnitt 11 Prozent mehr, jeden Monat: Das bekommen Beschäftigte, wenn sie in einem Betrieb mit Tarifvertrag arbeiten. Doch davon gibt es immer weniger. Das muss sich ändern: Wir kämpfen für eine stärkere Tarifbindung in Deutschland.
Zunächst eine Definition: Tarifbindung heißt, dass Arbeitgeber*innen und die für deine Branche zuständige Gewerkschaft Tarifverträge abschließen. Darin regeln sie wichtige Aspekte des Arbeitsverhältnisses, die über die gesetzlichen Mindeststandards hinausgehen. Im Kern gehört dazu deine Bezahlung, also Lohn oder Gehalt. Aber das ist bei weitem nicht alles: Bist du in einem tarifgebundenen Unternehmen angestellt, profitierst du auch von besseren Regelungen bei Arbeitszeit und Urlaub, bei der Altersversorgung, bei der Zahlung von Zulagen und Zuschlägen oder beim Krankengeldzuschuss. Außerdem bieten viele Tarifverträge Verbesserungen für Eltern oder pflegende Angehörige.
Tarifbindung spürst du jeden Monat auf deinem Konto: Im Schnitt verdienen Arbeitnehmer*innen mit Tarifvertrag bei gleicher Tätigkeit 11 Prozent mehr als Arbeitnehmer*innen ohne Tarifvertrag. Das macht im Monat mehrere hundert Euro brutto mehr auf deiner Gehaltsabrechnung aus. Auch der Gender Pay Gap — also der Unterschied zwischen dem durchschnittlichen Verdienst von Frauen und Männern — ist in tarifgebundenen Betrieben deutlich kleiner. Darüber hinaus hat die Corona-Pandemie gezeigt, dass Beschäftigte mit Tarifvertrag deutlich besser durch die Krise gekommen sind. Denn bei ihnen wurde das Kurzarbeitergeld mehr als doppelt so häufig aufgestockt wie bei Beschäftigten, für die kein Tarifvertrag galt.
Du siehst: Tarifbindung ist ein wichtiges Instrument, um Löhne und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Sie ist ein Grundpfeiler der Ordnung am Arbeitsmarkt und der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. Tarifverträge verschieben das Machtungleichgewicht zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmer*innen zugunsten der Beschäftigten. Tarifbindung schafft vor allem aber auch Transparenz, Sicherheit und Planbarkeit. Denn Tarifverträge sind für alle einsehbar und setzen damit der Willkür im Betrieb Grenzen. Gibt es keinen Tarifvertrag, gelten nämlich nur die gesetzlichen Mindestregelungen. Dann kommt es allein auf dein persönliches Verhandlungsgeschick an. Tarifbindung sorgt stattdessen dafür, dass alle Beschäftigten an der wirtschaftlichen Entwicklung und dem steigenden Wohlstand teilhaben können. Die Bedeutung der Tarifbindung für eine gerechte Arbeitswelt kann daher nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Noch mehr Informationen, z. B. wer einen Tarifvertrag abschließen kann und wie eine Tarifverhandlung abläuft, findest du bei unserem FAQ zum Thema Tarifverträge.
Seit 2023 ist der Koblenzer Fahrradhersteller Canyon Bicycles tarifgebunden. Mit seinem Tarifvertrag ist Canyon ein Vorreiter in der Branche mit deutschlandweit etwa 200 Herstellern. 1.400 Beschäftigte und natürlich das Unternehmen profitieren davon. Mehr Geld auf dem Konto, Freistellungstage für Beschäftigte, die ihre Angehörigen pflegen müssen. Das Unternehmen hat Planungssicherheit, auf 9 Jahre gelten die Bedingungen des Tarifvertrags zwischen IG Metall und Arbeitgeber. Auf seiner Sommertour besuchte DGB-Vorstand Stefan Körzell Canyon und sprach mit Beschäftigten und Kollegen von der IG Metall.
Anspruch | Gesetz | Tarifvertrag |
---|---|---|
Jahresurlaub | 4 Wochen | Meist 6 Wochen |
Weihnachtsgeld | Keine Regelung | Je nach Branche anteiliger Prozentsatz eines Monatsgehalts oder Fixbetrag |
Arbeitszeit | Bis zu 48 Wochenstunden | Je nach Branche zwischen 35 und 40 Wochenstunden |
Auszubildendenübernahme | Keine Regelung | Je nach Branche mehrere Monate sowie unbefristete Übernahme |
Vermögenswirksame Leistungen | Keine Regelung | Je nach Branche unterschiedliche Geldleistungen, die nicht direkt ausgezahlt, sondern vom Arbeitgeber in einem Sparvertrag eingezahlt werden |
Urlaubsgeld | Keine Regelung | Je nach Branche anteiliger Prozentsatz eines Monatsgehalts oder Fixbetrag |
Es ist eine bedenkliche Entwicklung: Seit Jahrzehnten nimmt die Zahl der Betriebe mit Tarifvertrag ab. Das heißt, immer mehr Beschäftigte in Deutschland arbeiten ohne Tarifbindung. Das zeigt auch unsere aktuelle Tariffluchtbilanz.
Danach sind heute nur noch knapp die Hälfte aller Arbeitnehmer*innen (49 Prozent) in einem tarifgebundenen Arbeitsverhältnis. Allerdings gibt es starke Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern. Waren 1998 in Westdeutschland 76 Prozent der Beschäftigten tarifgebunden, sind es 2023 nur noch 51 Prozent. In Ostdeutschland fiel die Zahl von 63 Prozent auf 45 Prozent. Ein wesentlicher Grund für die sinkende Tarifbindung ist, dass viele Arbeitgeber ihrer Verantwortung nicht mehr nachkommen, mit den Gewerkschaften Tarifverträge auszuhandeln. Immer mehr Arbeitgeberverbände erlauben ihren Mitgliedsunternehmen zudem sogenannte “OT-Mitgliedschaften”, also “Ohne-Tarif-Mitgliedschaften”.
Wir als DGB setzen uns dafür ein, dass wieder deutlich mehr Betriebe und Branchen unter den Schutz der Tarifbindung fallen. Denn dass Millionen Menschen einen Arbeitsvertrag ohne Tarifbindung haben, ist schlecht für die betroffenen Arbeitnehmer*innen. Und auch im Sinne einer gerechten Gesellschaft, in der Gute Arbeit zum Standard gehören sollte, ist das nicht hinnehmbar. Deshalb organisieren unsere Mitgliedsgewerkschaften die Beschäftigten in den Betrieben und entwickeln so Druck, dass Unternehmen tarifgebunden werden.
Doch auch die Politik muss etwas tun! Sie hat eine Vielzahl an Möglichkeiten, um Tarifverträge zu fördern und damit die Tarifbindung zu stärken. So verlangt die EU-Mindestlohnrichtlinie, dass mehr Tarifverträge abgeschlossen werden sollen, wenn in einem EU-Mitgliedstaat weniger als 80 Prozent der Beschäftigten von Tarifverträgen erfasst werden. Dann sollen Maßnahmen für mehr Tarifverträge in einem Aktionsplan festgelegt werden. In Deutschland gilt nur für 49 Prozent der Beschäftigten ein Tarifvertrag. Daher muss die deutsche Bundesregierung einen Aktionsplan aufstellen. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften haben dazu ein 14-Punkte-Papier mit ihren Forderungen an die Politik formuliert.
Tarifbindung nutzt nicht nur den Beschäftigten. Sie ist gerecht für alle Seiten:
Der Bundesarbeitsminister hat im September 2024 die Ressortabstimmung für das lange angekündigte Bundestariftreuegesetz eingeleitet. Damit bekennt der Staat sich klar zu seiner Verantwortung, für faire Löhne und bessere Arbeitsbedingungen in Deutschland zu sorgen. Auf dieses Signal haben wir Gewerkschaften lange gewartet.
Bei öffentlichen Ausschreibungen und Aufträgen gewinnt bisher meistens das günstigste Angebot – Faktoren wie Bezahlung nach Tarif und tarifliche Arbeitsbedingungen spielen kaum eine Rolle. Das soll sich mit dem Tariftreuegesetz ändern: Dann werden Aufträge nur noch an Unternehmen vergeben, die nach Tarif zahlen. Dadurch würden sich die Bedingungen in vielen Branchen verbessern. Ausbeutung sowie Lohn- und Sozialdumping würden verhindert, ebenso die Vergabe an unseriöse Sub-Unternehmen. Dabei geht es auch um fairen Wettbewerb: Unternehmen und Betriebe, die den Wert von Mitbestimmung und Tarifverträgen anerkennen, wären nicht mehr im Nachteil gegenüber Firmen, die sich der Sozialpartnerschaft verweigern.
Damit das Bundestariftreue-Gesetz ein Erfolg wird, haben wir einige Mindestanforderungen an die Politik formuliert. Das Gesetz braucht einen umfassenden Anwendungsbereich : Es muss branchenübergreifend und auch für nachgeordnete Bundesbehörden sowie bundeseigene Unternehmen und Unternehmen mit Bundesbeteiligung gelten. Das Gesetz muss bereits bei niedrigen Schwellenwerten für Dienst-, Liefer- und Bauleistungen greifen. Wichtig ist auch, dass Unternehmen die wesentlichen Entgelt- und Arbeitsbedingungen, wie Arbeitszeiten oder Urlaub, eines für den öffentlichen Auftrag vorgesehenen Tarifvertrags anwenden müssen. Nur das tarifliche (Mindest-)Entgelt zu zahlen reicht nicht.
Um die Tariftreue durchzusetzen, muss regelmäßig und mit einer definierten Mindestquote kontrolliert werden. Dazu sollte eine zentrale Kontrollstelle eingerichtet werden, die mit den Vergabestellen kooperiert und sie auch bei der Umsetzung beraten kann. Sie muss mit ausreichend Personalkapazitäten ausgestattet sein.
Unsere Forderungen für ein wirksames Bundestariftreuegesetz:
Mit der Tariftreue öffentlicher Aufträge endet ein Teil des Dumpingwettbewerbs auf Kosten der Beschäftigten. Sie erhalten bessere Löhne, mehr Urlaub, und geregeltere Arbeitszeiten. Weiteren Stillstand in Sachen Tarifbindung können wir uns nicht leisten!
Eine hohe Tarifbindung sichert den sozialen Frieden und Gute Arbeit, denn Tarifverträge stehen für gute Arbeitsbedingungen und anständige Löhne. Sie geben gerade in Zeiten hoher Unsicherheit Stabilität und Halt im Arbeitsleben. Und sie fördern Gleichbehandlung und Gerechtigkeit – zwischen Frauen und Männern, zwischen Ost und West, zwischen Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte.
Ein Tarifvertrag kann zum einen direkt zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft vereinbart werden. Die Rede ist dann von einem Haustarifvertrag (oder Firmentarifvertrag). Zum anderen kann ein Tarifvertrag aber auch zwischen einem Arbeitgeberverband und einer Gewerkschaft geschlossen werden. Dann spricht man von einem Branchentarifvertrag (oder Flächentarifvertrag bzw. Verbandstarifvertrag).
Der Branchentarifvertrag gilt automatisch für alle Arbeitgeber, die Mitglieder im Verband sind — eigentlich. Denn immer mehr Arbeitgeberverbände erlauben Unternehmen die Mitgliedschaft „ohne Tarifbindung“ (OT). Das bedeutet, dass Unternehmen trotz Verbandsmitgliedschaft nicht an die Bestimmungen des Branchentarifvertrags gebunden sind. So müssen sie z. B. ihren Beschäftigten nicht den Tariflohn zahlen oder sich nicht an die tariflichen Vereinbarungen zu Arbeitszeit, Urlaubsgeld usw. halten. Das widerspricht der Logik von Branchentarifverträgen. Und es macht Arbeitgeberbände nicht mehr zu verlässlichen Tarifpartnern, sondern zu reinen Lobbyorganisationen.
Wir sagen: Damit muss Schluss sein! Die Ohne-Tarif-Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden muss abgeschafft werden.
Tarifverträge können auch für allgemeinverbindlich erklärt werden, das heißt, sie werden für alle Unternehmen einer Branche und Region verbindlich gesprochen. Auch können Branchenmindestlöhne, also spezielle Lohnuntergrenzen für einzelne Branchen allgemeinverbindlich gemacht werden. Derzeit gelten Branchenmindestlöhne z. B. im Dachdeckerhandwerk, in der Fleischwirtschaft, in der Pflegebranche sowie bei Sicherheitskräften an Flughäfen.
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