2. Mai 1933

Die Zerschlagung der freien Gewerkschaften

2. Mai 1933: Die Zerschlagung der freien Gewerkschaften

Nachdem die Nationalsozialisten 1933 die Macht ergriffen hatten, begannen sie umgehend mit dem Umbau des Staates. Systematisch bereiteten sie Massenmord und Angriffskrieg vor. Erst warfen sie die Kommunist*innen und Sozialdemokrat*innen in die Gefängnisse und die ersten Konzentrationslager (KZs). Dann beseitigten sie mit der sogenannten Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat sowie dem Ermächtigungsgesetz die demokratische Staatsordnung der Weimarer Republik.

Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums markiert die erste Etappe der organisierten Judenverfolgung. Mit der Zerschlagung der freien Gewerkschaften am 2. Mai 1933 zerstörten die Nazis eines der letzten Bollwerke, dass ihrer absoluten Machtergreifung noch hätte im Weg stehen können.

Fünf Gewerkschafterschicksale im Konzentrationslager Sachsenhausen

Am 2. Mai 1933 stürmten die Nationalsozialisten in ganz Deutschland die Gewerkschaftshäuser. Etliche Gewerkschafter*innen wurden in der Folgezeit in Konzentrationslager gebracht – unter anderem nach Sachsenhausen. Wir dokumentieren fünf Einzelschicksale.

Lothar Erdmann (1888–1939)

Lothar Erdmann wurde am 12. Oktober 1888 in Breslau als Sohn des Philosophieprofessors Benno Erdmann und dessen Frau Mathilde geboren. Familienleben und Jugendjahre waren geprägt durch die autoritäre Erziehung seines Vaters und den frühen Tod seiner Mutter. Nach dem Studium der Geschichte und Germanistik in Bonn, kam Erdmann während eines anschließenden Aufenthalts in England durch englische Linksintellektuelle mit dem Sozialismus in Kontakt.

Der Berufseinstieg als Journalist unterbrach der Beginn des 1. Weltkriegs. Erdmann zog – wie viele seiner Generation – mit großem Enthusiasmus in den Krieg. Doch die Fronterfahrungen im Stellungskrieg ernüchterten ihn schnell. Besonders der Tod seines Freundes, des Malers August Macke, änderte seine Einstellung zum Krieg. Ein schwerer Nervenzusammenbruch beendete seinen unmittelbaren Fronteinsatz. Im September 1916 heiratete er die Witwe August Mackes, Elisabeth Macke.

Nach Kriegsende fand Lothar Erdmann eine Anstellung als Redakteur beim Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB). Seine Ambivalenz gegenüber radikalen gewerkschaftlichen Ideen machten ihn zu einem Querdenker. Dazu kamen seine mit einem starken Nationenbegriff gepaarten Vorstellungen vom Sozialismus. 1924 setzte ihn der ADGB-Vorsitzende Theodor Leipart als Chefredakteur der Zeitung „die Arbeit“ ein, für die er bis 1933 tätig war.

Durch seine Tätigkeit hatte Erdmann großen Einfluss auf die gewerkschaftliche Diskussion um die Ausrichtung in der Weimarer Republik. So präzisierte er seine Vorstellungen von Wirtschaftsdemokratie, Ausgestaltung der Mitbestimmung und die Professionalisierung der Gewerkschaftsarbeit. Im letzten Heft der "Arbeit" vom 29. April 1933 erschien sein Artikel "Nation, Gewerkschaften und Sozialismus". Darin zeigte er noch einmal den Weg der Gewerkschaften in der jüngsten Zeit auf und wies auf die drohende Entwicklung des Nationalsozialismus hin. Nach der Machtergreifung der Nazis arbeitete Erdmann nur noch sporadisch als Journalist, u.a. für die "Vossische Zeitung". Es folgten Jahre der Beobachtung und Bespitzelung durch die Gestapo. Bei Kriegsausbruch 1939 wurde er als politischer Häftling ins KZ-Sachsenhausen gebracht. Dort erlag er am 19. September 1939 nach schwerer Folter seinen Verletzungen.

Erich Flatau (1879–1946)

Erich Flatau wurde am 9. August 1879 in Görlitz als Sohn des Kaufmanns Max Flatau und seiner Ehefrau Edwina geboren. Nach einer abgeschlossenen Ausbildung zum Handlungsgehilfen ließ er sich an einer Kunsthochschule zum Dramaturgen ausbilden. In den Folgejahren war er dramaturgischer Sekretär und Verwalter einer Theaterbibliothek in Pirna und Dresden.

Flatau engagierte sich in der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger und war zwischen 1900 und 1912 Gewerkschaftssekretär. Im Anschluss an einen kurzen Dienst während des 1. Weltkriegs beteiligte er sich als Arbeiterrat bei Siemens in Berlin, wo er kurzfristig eine Stelle als Angestellter angenommen hatte. Vom 1. Mai 1920 bis 1933 war er Geschäftsführer des Ortskartells Berlin des Allgemeinen freien Angestelltenbundes (AfA-Bund). Daneben nahm er weitere Mandate auf Bezirksebene des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) wahr. Als SPD-Abgeordneter wurde er 1921 in die Bezirksversammlung Berlin-Schöneberg und in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. Beide Funktionen übte Flatau bis 1933 aus.

Am 17. Mai 1933 wurde er als Geschäftsführer des AfA-Bundes fristlos gekündigt. Die Zeichen der Zeit erkennend flüchtete er im Juli 1933 für vier Monate in die Tschechoslowakei. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland war er zwei Jahre arbeitslos, bevor er eine Anstellung als Lektor bei einem Annoncenbüro bekam.

Mit Beginn des 2. Weltkriegs kam Erich Flatau erstmals in KZ-Haft. Der mittlerweile 60-Jährige konnte das KZ Sachsenhausen nach zwei Wochen wieder verlassen. Fortan war er im gewerkschaftlichen Untergrund tätig. Erst nach einer weiteren, zweiwöchigen Gefangenschaft im KZ Sachsenhausen, in Folge des Hitler Attentats am 20. Juli 1944, zog er sich gesundheitsbedingt aus der Untergrundarbeit zurück. Nach Angaben seiner Frau trug Flatau während seines zweiten Aufenthalts in Sachsenhausen massive körperliche und seelische Verletzungen davon, die ihn sogar zu Selbstmordgedanken bewogen.

Trotz seines angeschlagenen Gesundheitszustandes nahm Erich Flatau nach dem 2. Weltkrieg seine politischen und gewerkschaftlichen Aktivitäten wieder auf. Am 4. Februar 1946 erlag er den schweren Folgen seiner KZ-Haft.

Gottfried Könzgen (1886–1945)

Gottfried Könzgen, geboren am 3. April 1886 in Mönchengladbach als drittes von sieben Kindern des Webers Hermann-Josef Könzgen, war in seinem späteren Leben Arbeitersekretär der katholischen Arbeiterbewegung. Neben seiner Tätigkeit als Sekretär war er aktiver Zentrums-Politiker in der Weimarer Republik.

Nach seiner Lehre zum Weber besuchte er in den ersten Berufsjahren Abendkurse, die er mit der Mittleren Reife abschloss. In diesen Jahren machte der junge Könzgen erste Erfahrungen in der Arbeiterbewegung. Trotz Schikanen seines Arbeitgebers beteiligte er sich an einem Streik in einem Textilunternehmen. Als sogenannter „schwarzhörer“ besuchte er drei Jahre lang Seminare in Jura und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bonn. Die Erkenntnis, dass Unbeugsamkeit und Solidarität allein nicht ausreichten, um die gewünschten Veränderungen im Betrieb durchzusetzen, trieb seinen Bildungshunger an.

Die Teilnahme am 1. Weltkrieg unterbrach seine berufliche Laufbahn und bescherte ihm eine schwere Malaria. Durch seine Aktivitäten im Arbeiter- und Soldatenrat gewann Könzgen erstes politisches Ansehen in seiner Heimat Mönchengladbach. Am 1. Januar 1923 wurde er zum Arbeitersekretär der katholischen Arbeiterbewegung berufen. Als Leiter des Volksbüros beriet er Angehörige aller Schichten bei Fragen zur Sozialversicherung und im Arbeitsrecht.

Die Jahre von seiner Heirat im Jahr 1920 bis zur Machtergreifung der Nazis 1933 waren für Gottfried Könzgen beruflich wie privat erfolgreich. Unmittelbar zu Jahresbeginn 1933 stellte die Gestapo Könzgen unter ständige Beobachtung. Er verlor seine politischen Ämter und konnte seiner Beratungstätigkeit nur noch stark eingeschränkt nachgehen. Am 20. März 1935 kam es zu einer ersten Hausdurchsuchung, in der Folge wurde Könzgen 108 Tage in "Schutzhaft" genommen. Schwere Malariaanfälle des Gewerkschafters sorgten dafür, dass ein Verfahren verschoben wurde.

Es folgten Jahre der ständigen Beobachtung, Hausdurchsuchungen und Vernehmungen. Nach dem fehlgeschlagenen Attentat auf Hitler 1944 erfasste die Verhaftungswelle auch Könzgen. Nach 3 Wochen im Polizeigefängnis Duisburg kam er ins Konzentrationslager Sachsenhausen. Dort verstarb der Schwerkranke am 15. März 1945. Heute erinnert das KAB-Zentrum (Gottfried Könzgen Heim) in Haltern an das Wirken und Schicksal. 

Rudolf Lentzsch (1900–1945)

Rudolf Lentzsch wurde am 7. November 1900 in Torgelow, Kreis Ueckermünde, geboren. Sein Vater, der Modelltischschlosser Rudolf Lentzsch Senior, war Mitbegründer des SPD-Wahlvereins in Torgelow. Zusammen mit seiner Ehefrau Anna war er im Deutschen Metallarbeiterverband (DMV) organisiert. So kam Rudolf bereits in jungen Jahren mit der Arbeiterbewegung in Kontakt.

Nach dem 1. Weltkrieg gehörte Lentzsch zu den Mitbegründern der KPD-Ortsgruppe in Torgelow. Durch das staatliche Verbot der KPD floh er 1923 nach Berlin, wo sich der gelernte Eisenformer zuerst im DMV – dieser gehörter zum ADGB – betätigte. Ab 1928 war Lentzsch federführend beim Aufbau einer kommunistisch orientierten Metallarbeitergewerkschaft EVMB (Einheitsverband der Metallarbeiter Berlins) beteiligt. Der Verband wollte nach dem Ausschluss aus dem ADGB einen autonomen Kampf um Löhne und Arbeitsbedingungen in die Betriebe tragen und so den Klassenkampf vorantreiben. Mit seinen radikalen kommunistischen Ansichten gehörte Lentzsch zu den führenden Köpfen der Organisation.

Wie alle KPD-nahen Organisationen wurde der EMVB nach dem Reichstagsbrand 1933 verboten. Rudolf Lentzsch kam am 22. März 1933 in "Schutzhaft". Nach einer kurzen Zeit in Freiheit wurde er im Dezember 1933 erneut verhaftet und ins KZ-Columbiahaus eingeliefert. Ein Kammergericht verurteilte Lentzsch zu 3 Jahren Haft im Zuchthaus Brandenburg-Görden – „wegen umfangreichem und gefährlichem, verbrecherischem Betreiben“, lautete die Anklageschrift. Seine Strafe saß er im Zuchthaus Brandenburg-Görden ab. Im Anschluss an die Haft wurde er ins KZ-Sachsenhausen überführt, wo er bis zum 29. Dezember 1938 inhaftiert blieb.

Carl Vollmerhaus (1883–1979)

Der Landwirtsohn Carl Vollmerhaus wurde am 8. Oktober 1883 im sauerländischen Hunswinkel geboren. Er war das jüngste von vier Geschwistern. Bereits mit acht Jahren Vollwaise, wuchs er in ärmlichen Verhältnissen bei Verwandten auf. Er erlernte das Schumacherhandwerk und ging nach der Gesellenzeit auf Wanderschaft. 1903 wurde er in Mainz Gewerkschaftsmitglied im „zentralverband der Schuhmacher Deutschlands“. 1904, er lebte jetzt in Berlin, trat er in die SPD ein.

Nach der Militärzeit engagierte er sich wieder in der Gewerkschaftsarbeit. 1908 organisierte er – erfolgreich – seinen ersten Streik und heiratete Charlotte Putzki. Aufgrund einer alten Lungenerkrankung war er im 1. Weltkrieg vom Militärdienst befreit. Während der Kriegsjahre wandelte sich Carl Vollmerhaus zum Kriegsgegner. Er verlor seinen Arbeitsplatz als Schuhmacher und bildete sich zum Werkzeugfräser fort. Daneben engagierte er sich weiterhin intensiv in der Gewerkschaftsarbeit. Vollmerhaus war 1917 an der Organisation des Berliner Hungerstreiks mit mehr 200.000 Beschäftigten beteiligt.

Nach Kriegsende wurde er hauptamtlicher Gewerkschaftsfunktionär und zweimal wegen seiner Tätigkeit als Arbeiterführer inhaftiert. Er lernt Carl Legien kennen, dessen Bekanntschaft für Carl Vollmerhaus prägend wurde. 1922 wird er ADGB-Bezirkssekretär von Berlin-Brandenburg, mit 900.000 Mitgliedern einer der größten. In den Folgejahren förderte und unterstützte das Bezirkssekretariat unter Vollmerhaus' Leitung die Idee der Gemeinwirtschaft.

Mit dem 2. Mai 1933 verlor der Bezirkssekretär seine Arbeit und machte sich in Berlin wieder als Schuhmacher selbständig. In seiner Werkstatt organisierte er heimliche Treffen mit Gewerkschaftern. Am 1. September wurde Vollmerhaus verhaftet, in „schutzhaft“ genommen, wie es im Jargon des Nazistaates hieß. Er wurde ins KZ Sachsenhausen eingeliefert. Gleich am ersten Tag wurde er Zeuge, wie Lothar Erdmann (Biografie siehe oben) von der SS zu Tode gequält wurde. Während der Haft arbeitete Carl Vollmerhaus als Schuster, ein Beruf, der im Lager dringend gebraucht wurde. Durch seine privilegierte Stellung konnte er Lebensmittel besorgen, mit denen er auch Mithäftlinge versorgte.

Am 21. April 1945 wurden die marschfähigen KZ-Insassen auf einen Todesmarsch ins Lager Below bei Wittstock geschickt. Dort kam Vollmerhaus mit etwa dreihundert Häftlingen am 28. April frei.

Nach seiner Rückkehr nach Berlin ernannte ihn die sowjetische Administration zum Bürgermeister von Berlin-Karlshorst. Doch schon nach einem halben Jahr trat er vom Amt zurück. Nach dem Tod seiner Frau im Februar 1946 folgte Vollmerhaus der Einladung seines Freundes und ehemaligen Mithäftlings Johann Dötsch nach Koblenz. Dort half er beim Wiederaufbau der unabhängigen Gewerkschaften und wurde bald einer der führenden Gewerkschafter in der französischen Zone. In der Bundesrepublik übte er zahlreiche Gewerkschafts- und Parteiämter aus und erhielt 1973 das Bundesverdienstkreuz. Er starb, fast 96jährig, am 14. Mai 1979 in Koblenz.

Quelle

Siegfried Mielke (Hg.) "Gewerkschafter in den Konzentrationslagern Oranienburg und Sachsenhausen". Berlin 2002.

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