Wann ist Feierabend? Wie viel Zeit bleibt jenseits der Arbeit für Sportverein, politisches Engagement, Familienleben und Freundschaften? Kurz: Wie passt die Arbeitszeit zum Leben? Studien zeigen, dass für Beschäftigte die Länge und die Lage der Arbeitszeit zentrale Belastungsfaktoren sind. Und dass die Erfassung der Arbeitszeit Entlastung schaffen kann. Wir schauen auf die Situation im öffentlichen Dienst, mit besonderem Fokus auf Lehrkräfte.
Überstunden findet man laut aktueller Arbeitszeitbefragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) im öffentlichen Dienst besonders häufig. 21 Prozent der Befragten berichtet hier von mehr als 2 bis 5 Überstunden, 14 Prozent von mehr als 5 bis 10 Überstunden und 10 Prozent sogar von mehr als 10 Überstunden pro Woche. Als Hauptgrund wird genannt, dass die Arbeit sonst einfach nicht zu schaffen ist. Dieser Zeitdruck wird durch andere Untersuchungen bestätigt, etwa durch den DGB-Index Gute Arbeit. Mehr als die Hälfte der Befragten aus dem öffentlichen Dienst (54 Prozent) fühlte sich bei der Arbeit sehr häufig oder oft gehetzt, heißt es in der aktuellen Sonderauswertung des DGB-Index für den öffentlichen Dienst.
Arbeit zu sozial wertvollen Zeiten
Viele Beschäftigte im öffentlichen Dienst sind außerdem von Wochenend-, Abend- oder Nachtarbeit betroffen. Solche atypischen Arbeitszeiten gibt es hier häufiger ist als in der Privatwirtschaft. So gibt mit 31 Prozent fast ein Drittel der Beschäftigten an, sehr häufig oder oft am Wochenende zu arbeiten (Privatwirtschaft 19 Prozent). Auch die Werte für die Arbeit am Abend und in der Nacht liegen im öffentlichen Dienst höher.
Diese Arbeitszeitlagen haben soziale Auswirkungen, weil sich hier zum Beispiel das Vereins- oder Familienleben konzentriert. Gleichzeitig können sie die Regenerationsmöglichkeiten stören. Die Folge: Beschäftigte mit atypischen Arbeitszeiten bewerten ihren Gesundheitszustand schlechter als Beschäftigte, die ihre Tätigkeit in der Regel zwischen 7 und 19 Uhr ausüben.
Arbeitszeiterfassung im öffentlichen Dienst
Die Erfassung von Arbeitszeit ist aber nicht nur bei Arbeit am Wochenende oder in der Nacht ein wichtiges Instrument des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Sie nützt allen Beschäftigengruppen, denn sie ermöglicht die Kontrolle arbeitszeitlicher Mindeststandards, also der Pausen- oder Ruhezeiten sowie der Wochen- bzw. der Tageshöchstarbeitszeiten. Der Europäische Gerichtshof hat die Mitgliedstaaten deshalb 2019 aufgefordert, Arbeitgebern ein „objektives, verlässliches und zugängliches System zur Arbeitszeiterfassung“ vorzuschreiben. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Sichtweise im Jahr 2022 bestätigt (BAG 13. 9. 2022 – 1 ABR 22/21). Das Gericht hat dargelegt, dass bereits eine gesetzliche Verpflichtung für Arbeitgeber bestehe, ein solches System zur Messung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeiten zu schaffen. Dies leite sich unmittelbar aus einer europarechtskonformen Auslegung von § 3 Abs. 2 ArbSchG ab. Diese Verpflichtung gilt in der Privatwirtschaft wie im öffentlichen Dienst, für Tarifbeschäftigte wie für Beamt*innen.
Klar ist aber auch, dass die Erfassung der Arbeitszeit in weiten Teilen des öffentlichen Dienstes schon lange üblich ist. Die BauA Arbeitszeitbefragung zeigt, dass dort für 68 Prozent der Beschäftigten die Arbeitszeit auf einem Arbeitszeitkonto erfasst wird. Weitere 11 Prozent dokumentieren sie selbst. Demnach erfassen 21 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Dienst ihre Arbeitszeit gar nicht. Nur in der Industrie liegt dieser Wert niedriger.
Arbeitszeiterfassung bei Lehrkräften
Anders sieht es bei Lehrkräften aus, bei denen die Erfassung der Arbeitszeit bisher fehlt. Die Deputatsverordnungen der Bundesländer regeln nur, wie viele Stunden in Vollzeit tätige Lehrer*innen pro Woche unterrichten müssen. Bei Gwen Kreutz und Johannes Biesel sind es für Vollzeitlehrkräfte zum Beispiel 25,5 Schulstunden. Beide arbeiten an einer Gesamtschule im Norden von Köln. Gwen Kreutz ist für die GEW außerdem im Bezirkspersonalrat aktiv. Beide nennen im Gespräch mit dem BM eine lange Liste an Aufgaben und Tätigkeiten, die im Schulalltag neben den reinen Unterricht anfallen: Team-, Jahrgangs- oder Fachkonferenzen, Arbeitskreise zur Schulentwicklung, Beratungsgespräche mit Eltern, anderen Lehrkräften oder Schulsozialarbeiter*innen, Elternsprechtage und -abende, Ausflüge oder Klassenfahrten, Koordination, Dokumentation, Korrekturen und die Unterrichtsvorbereitung. Der Zeitaufwand für all diese Tätigkeiten ist anders als die konkret vorgegebene Pflichtstundenzahl weitgehend unbestimmt.
Inspiriert durch eine Diskussionsveranstaltung der GEW erheben die beiden ihre komplette Arbeitszeit nun im Selbstversuch mittels App. Das sei nicht kompliziert und habe sie schon nach kurzer Zeit auf Belastungsfaktoren gestoßen. Zum Beispiel auf den fragmentierten Arbeitstag: „An manchen Tagen habe ich fünf Einträge in der App. Hier eine Stunde, da eine Stunde, dort noch eine halbe. Klar, dadurch bin ich sehr flexibel, aber ich finde es auch gefährlich. Meine Arbeit ist extrem entgrenzt. Ich muss mich abends oft disziplinieren, mit der Arbeit aufzuhören“, erklärt Kreutz. Johannes Biesel beobachtet das auch. Seitdem er die Arbeitszeit erfasse, falle ihm die Trennung von Arbeit und Privatleben jedoch leichter. „Die App hilft mir, meine Zeit zu strukturieren. Ich arbeite fokussierter und wenn ich aufhöre, kann ich besser abschalten“, stellt er fest.
“Es geht da einfach auch um Gesundheit”
Die Arbeitszeiterfassung finden beide Lehrkräfte also hilfreich. Ihre Arbeit verlange einen sehr hohen Grad an Selbstorganisation, dafür sei die Zeiterfassung ein gutes Werkzeug. Auch deshalb teilen sie die Forderung ihrer Gewerkschaft, dass sie an Schulen obligatorisch werden muss. Die Länder seien schließlich verpflichtet, auch für Lehrkräfte eine europarechtskonforme Regelung zu schaffen. “Es geht da einfach auch um Gesundheit. Ich bin ziemlich enttäuscht, dass die Ministerien das Thema bisher einfach aussitzen”, so Biesel.
Die Position der GEW ist klar: Alle Tätigkeiten und Arbeitszeiten von Lehrkräften müssten erfasst werden, auch mobile Arbeit, Arbeit am Wochenende und in den Ferien. Auf einer GEW-Arbeitszeitkonferenz wurde die konkrete Umsetzung diskutiert: Nötig sei ein leicht zugängliches Erfassungsinstrument. Die Zeiterfassung dürfe keine Leistungs- und Verhaltenskontrolle ermöglichen und müsse datenschutzkonform sein. Und aus den Daten der Erfassung müssten Schritte abgeleitet, also Überstunden ausgeglichen und zu hohe Belastungen abgebaut werden.
Die Eindrücke aus der Kölner Gesamtschule und empirische Untersuchungen zeigen, dass sich dieser Weg lohnt. Die Arbeitszeiterfassung im Homeoffice ist messbar mit einer besseren Erholung verbunden, man kann besser abschalten. Sie kann dazu beitragen, zeitliche Entgrenzung zu reduzieren. Zudem berichten Beschäftigte mit Arbeitszeiterfassung seltener von Termin- oder Leistungsdruck oder Überforderung. Und weniger Überstunden als Kolleg*innen ohne Arbeitszeiterfassung leisten sie auch. Warum sollten nicht auch Lehrkräfte von solchen Entlastungsfaktoren profitieren?