2020 hatte das Bundesverfassungsgericht die Besoldung in Berlin1 in den Jahren 2009 bis 2015 sowie in Nordrhein-Westfalen2 in den Jahren 2013 bis 2015 für verfassungswidrig zu niedrig erklärt. Die vom Gericht zu entscheidenden Fragen bezogen sich auf zwei verschiedene Aspekte: zum einen auf den Mindestabstand der Besoldung zum Grundsicherungsniveau, zum anderen auf die Höhe der Besoldung von Beamt:innen mit drei und mehr Kindern. Wenig überrascht dürften die Besoldungsexpert:innen nach Lektüre der Entscheidungsgründe darüber gewesen sein, dass diese nicht nur für die verurteilten Länder Konsequenzen haben. Denn mit ihnen ging indirekt ein Prüfauftrag, gerichtet an die übrigen 14 Bundesländer sowie den Bund, einher. Bislang wurden verschiedene Ideen entworfen und teilweise bereits umgesetzt: von der Streichung niedrigerer Besoldungsgruppen und -stufen, über die Erhöhung des Familienzuschlags und die Anhebung des Beihilfebemessungssatzes bis zu einem mietenstufenabhängigen Zuschlag und bedarfsabhängigen Zahlungen. Die unterschiedlichen Maßnahmen erhöhen die Komplexität des Besoldungsrechts deutlich. Die Tabelle weiter unten bietet hierzu einen Überblick.
Sicherung des Mindestabstands zum Grundsicherungsniveau
Eine entsprechende Anhebung sämtlicher Grundgehälter der betroffenen Besoldungsordnungen wäre die rechtssicherste Maßnahme, um den Mindestabstand von 15 Prozent zwischen Besoldung und Grundsicherungsniveau (wieder-)herzustellen, ohne den Abstand zwischen den Besoldungsgruppen zu nivellieren. Diesen Schritt ist bislang aber mit Verweis auf die damit verbundenen hohen Kosten kein Gesetzgeber gegangen. Stattdessen wurden untere Besoldungsgruppen sowie -stufen in der Besoldungsordnung A gestrichen und betroffene Beamt:innen in höhere Gruppen bzw. Stufen übergeleitet. Kritiker:innen sehen darin eine Aufweichung des Prinzips der Ämterwertigkeit und letztlich eine Verletzung des Leistungsprinzips. Eine dadurch erzeugte Stauchung der Besoldungstabelle würde den durch das Bundesverfassungsgericht entwickelten Parameter für eine verfassungskonforme Besoldung – das Abstandsgebot zwischen den Besoldungsgruppen3 – verletzen. Um dieses Argument ins Leere laufen zu lassen, begründen die Gesetzgeber ihr Vorgehen meist mit einer gestiegenen Verantwortung der gestrichenen Ämter.
Wo sich die Besoldung mit einem oder zwei Kindern in der Familie als zu gering erwiesen hat, wurden zusätzliche Maßnahmen ergriffen: Erhöhung des kindbezogenen Familienzuschlags, ein darin enthaltener von der Mietenstufe des Wohnorts der Beamt:innen abhängiger Zuschlag, eine Erhöhung des Beihilfebemessungssatzes von 70 Prozent auf 90 Prozent für Ehepartner:innen bei zwei oder mehr Kindern oder auch ein vom Familiennettoeinkommen abhängiger Familienergänzungszuschlag für niedrige Besoldungsgruppen.
Alimentation ab dem dritten Kind
Um eine amtsangemessene Alimentation von Beamt:innen mit mindestens drei Kindern sicherzustellen, haben die Gesetzgeber bislang vor allem den Familienzuschlag ab dem dritten Kind deutlich – bis auf 800 Euro – erhöht. Damit soll vermieden werden, dass für den Lebensunterhalt dieser Kinder auf „familienneutrale Bestandteile“ des Gehalts zurückgegriffen werden muss. Ein weiteres Instrument ist die Anhebung des Beihilfebemessungssatzes für das dritte und weitere Kinder auf 90 Prozent. Ein zusätzlicher mietenstufenabhängiger Aufstockungsbetrag oder ein von den Einkünften des weiteren unterhaltspflichtigen Elternteils abhängiger Familienergänzungszuschlag – beides explizit ab dem dritten Kind – sind weitere Elemente.
Fortentwicklung des Rechts oder Verfassungsbruch?
Schleswig-Holstein führte mit einem sogenannten Familienergänzungszuschlag, der abhängig vom Nettoeinkommen des Haushalts bzw. den Einkünften einer weiteren unterhaltsverpflichteten Person ist, ein völlig neues Element in das Besoldungsrecht ein.4 Auch Rheinland-Pfalz entschloss sich für einen einkommensabhängigen Sonderzuschlag. Die Bezügestelle wird laut Kritiker:innen damit zu einer Art Sozialamt für Beamt:innen. Mit einem bedarfsabhängigen Alimentationsanteil unter Berücksichtigung anderer Einkünfte wagen beide Länder einen Schritt, den das Bundesverfassungsgericht so nicht als Ausweg aufgezeigt habe. Neben dem personellen Aufwand zur Überprüfung der Anspruchsberechtigung steht die Frage nach der Verfassungskonformität eines solchen Konstrukts. Das Finanzministerium Schleswig-Holstein begründet das neue Modell unter anderem mit maßgeblichen Veränderungen im Unterhaltsrecht, wonach mittlerweile Ehepartner:innen gleichrangig zum Unterhalt verpflichtet sind.5 Der Wissenschaftliche Dienst des Landtags Schleswig-Holstein hingegen hat in einem Gutachten Bedenken geäußert. Die Besoldung von Beamt:innen, in deren Haushalt das Nettoeinkommen lediglich auf Grund eines weiteren Einkommens ausreichend oberhalb des Grundsicherungsniveaus liegt, erfülle nicht das Mindestabstandsgebot. Dies könne wiederum ein Indiz für ebenfalls zu niedrig bemessene höhere Besoldungsgruppen sein.6
Gemäß Artikel 33 Grundgesetz ist das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln. Ob die neuen Instrumente als Fortentwicklung zu bewerten sind oder eher eine Verletzung des verfassungsrechtlich verankerten Alimentationsprinzips bedeuten, wird letztlich nur das Bundesverfassungsgericht entscheiden können. Zugleich ist klar: Eine sehr starke pauschale Erhöhung des 1920 eingeführten kindbezogenen Familienzuschlags stellt ein Dilemma dar. Zum einen entwickelt sich im Verhältnis von sehr hohen Zuschlägen zu den Grundgehaltssätzen eine gewisse Schieflage.7 Zum anderen gerät der Kinderzuschlag aus gesellschaftspolitischer Sicht in einen wachsenden Rechtfertigungsdruck. So dürfte ein Besoldungsrecht, das für den Nachwuchs von Beamt:innen quasi eine eigene Kinderbesoldung regelt, mit Blick auf die Lebenshaltungskosten für Kinder anderer Erwerbstätiger zunehmend kritisch hinterfragt werden.
Föderalistisches Ungetüm
Nicht nur zwischen den Besoldungsgesetzgebern, auch innerhalb eines Landes wird es immer schwieriger, den Überblick über zustehende Bezügebestandteile zu behalten – selbst für die Beamt:innen. Es ist bedauerlich, dass Bund und Länder nach den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts keine gemeinsame Lösung gesucht haben. Jetzt gibt es auf Grund des Föderalismus eine nie dagewesene Vielzahl an Beträgen, Zuschlägen, Zulagen, Bemessungssätzen, Tabellenstrukturen usw. Auch im Jahr 2022 werden vermutlich Beamt:innen gegen ihre Besoldung Widerspruch einlegen, denn zu ungewiss ist die Verfassungskonformität in vielen Ländern.8 Der Bundes- und einige Landesgesetzgeber sind zudem noch nicht einmal die grundlegende Problematik angegangen. Auf jeden Fall wird der Prüfaufwand der Gesetzgeber zunehmen, da die gewählten Regelungen für eine verfassungskonforme Alimentation eine permanente Abhängigkeit von einem sich kontinuierlich ändernden Grundsicherungsniveau beinhalten. Erste Anzeichen dafür bieten Gesetzentwürfe in Ländern, die bereits ein Nachsteuern bei erfolgten Gesetzesänderungen beinhalten. Und für die Gewerkschaften dürfte mit den Neuerungen der Beratungsaufwand sowie der Bedarf an Rechtsschutz für Betroffene weiter zunehmen.
1 BVerfG, Beschl. v. 4.5.2020 - 2 BvL 4/18
2 BVerfG, Beschl. v. 4.5.2020 - 2 BvL 6/17 u.a.
3 vgl. Fn. 1, Rn. 42 f.
4 Gesetz zur Gewährleistung eines ausreichenden Abstandes der Alimentation zur sozialen Grundsicherung und zur amtsangemessenen Alimentation von Beamtinnen und Beamten mit mehr als zwei Kindern vom 24.3.2022 (GVOBl. Schl.-H. S. 309)
5 vgl. Schleswig-Holsteinischer Landtag Umdruck 19/7321, Seite 8
6 vgl. Schleswig-Holsteinischer Landtag Umdruck 19/7271, Seite 28
7 vgl. u.a. Thüringer Landtag, WD 9/21, 30.8.2021, Seite 20 f.
8 vgl. z.B. Schwan, Torsten: Das Alimentationsniveau der Besoldungsordnung A 2008 bis 2020 – eine „teilweise drastische Abkopplung der Besoldung“ als dauerhafte Wirklichkeit? In: DÖV, Heft 5, 2022.