Die Parteien starten langsam in den Wahlkampf. Es ist absehbar, dass ein Kern-Thema die Ausrichtung der Wirtschafts- und Finanzpolitik sein wird. Eine zentrale Frage ist: Wie schaltet Deutschland in den Zukunftsmodus und überwindet seine Schwäche bei den öffentlichen und den privatwirtschaftlichen Investitionen, damit die Wirtschaft dauerhaft gestärkt wird?
Deutschland hat gute Voraussetzungen, die aktuellen Herausforderungen im Sinne einer sozial gerechten sowie umwelt- und klimaverträglichen Zukunft zu bewältigen. Klar ist aber: Dafür muss viel Geld in die Hand genommen werden. Aus der Portokasse – oder gar durch Kürzungen an anderer Stelle – ist das nicht zu leisten.
Wissenschaftliche Schätzungen gehen davon aus, dass Bund, Länder und Kommunen in den nächsten Jahren pro Jahr zusätzlich 60 bis 80 Milliarden Euro bzw. mindestens 1,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) investieren müssen. Das ist nötig, um den Investitionsstau bei den Kommunen, im Bildungsbereich, im Wohnungs- und Gesundheitswesen sowie beim Verkehr aufzulösen und den Weg in eine klimafreundliche Gesellschaft zu ebnen. Hinzu kommen notwendige Unternehmensinvestitionen: Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hält bis 2030 insgesamt zusätzliche Investitionen in Höhe von 1,4 Billionen Euro für nötig, um die Wirtschaft klimaneutral umzubauen. Zwei Drittel davon sind Unternehmensinvestitionen.
Kaum jemand in Wissenschaft und Politik bestreitet diese Bedarfe noch. Es herrscht Einigkeit, dass die langjährige – auch im internationalen Vergleich ausgeprägte – Investitionsschwäche in Deutschland überwunden werden muss. Auch verstehen immer mehr, dass es hierfür einer Änderung der investitionsfeindlichen Schuldenbremse bedarf. Diese Woche hat sich beispielsweise Bundesbankpräsident Nagel für eine entsprechende Reform ausgesprochen und empfohlen, zwischen staatlichen Investitionen und anderen Ausgaben stärker zu unterscheiden.
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz wirbt zu Recht für eine Reform der Schuldenbremse. In Presseberichten wird er allerdings mit der Aussage zitiert, eine "moderate" Schuldenbremsenreform schaffe nur einen geringen zusätzlichen Spielraum "von fünf bis zehn Milliarden". Ein Vergleich mit den oben genannten Bedarfen zeigt unmittelbar, dass eine solche "moderate" Reform vielleicht kurzfristig etwas Luft verschafft, aber die Investitionsprobleme nicht lösen kann. Um den Standort Deutschland nachhaltig zu sanieren, braucht es eine klare, verlässliche und dauerhaft rechtssichere strukturelle Lösung bei der Investitionsfinanzierung. Kompromisse sind oft zu komplex oder greifen zu kurz.
Finanzpolitik ist kein Selbstzweck, sondern muss den gesellschaftlichen Zielen dienen. Entsprechend sollte die Verbesserung der Infrastruktur für Wirtschaft und Gesellschaft und die Ermöglichung der notwendigen Investitionen auch das zentrale Ziel einer Reform der Schuldenbremse sein. Die transparenteste und effektivste Reform würde daher zwischen Investitionen und anderen Ausgaben unterscheiden (wie jetzt auch vom Bundesbank-Präsidenten gefordert) und die Schuldenbremse so anpassen, dass alle Investitionen mit langfristigem Nutzen ausgenommen und über Kredite finanziert werden können. Dazu gehören Maßnahmen zum Klimaschutz ebenso wie Infrastrukturausgaben, die zur Auflösung des Investitionsstaus beitragen – also sowohl Ersatzinvestitionen (bspw. Sanierungs- oder Modernisierungskosten) als auch Erweiterungsinvestitionen (v. a. Neubau). Zudem sollten Zuschüsse zur sozial konditionierten Förderung privater Investitionen in die Transformation von der Schuldenbremse ausgenommen werden.
Prinzipiell wäre auch eine Reform der Schuldenbremse möglich, die die "Defizitgrenze" erhöht: Aktuell darf der Bund bei normaler Konjunktur eine Neuverschuldung von nur 0,35 Prozent des BIP aufnehmen, für die Länder liegt diese Defizitgrenze sogar bei Null. Zur Erhöhung dieser Grenzen und damit der Finanzierungsspielräume gibt es vielerlei Vorschläge. Entscheidend ist dabei, dass der Spielraum so erhöht wird, dass das Investitionsproblem tatsächlich gelöst werden kann. Denn in jedem Fall gilt: Die nächste Regierung muss den Investitionsturbo anschmeißen. Falsche Kompromisse bei der Reform der Finanzierungsregeln gehen zulasten einer zukunftsfähigen Wirtschaft und Gesellschaft. Das können wir uns nicht leisten.