Rente mit 63 oder von der Arbeit in die Grube?

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Man kann die Uhr danach stellen. Praktisch täglich schlagen Arbeitgeber*innen wie prominente Mitglieder von CDU und CSU vor das Rentenalter auf die ein oder andere Weise anzuheben. Auch die FDP und viele Ökonom*innen sowie arbeitgebernahe Institute fordern dies in schöner Regelmäßigkeit. Begründet wurde das über viele Jahre mit der steigenden Lebenserwartung und der sogenannten Generationengerechtigkeit. Mittlerweile hat sich aber herumgesprochen, wie ungerecht das ist. Denn die Lebenserwartung steigt gar nicht so rasant, wie immer behauptet, und vor allem nicht für alle gleich stark. Jede Anhebung des Rentenalters kürzt die Rente bei jenen am stärksten, die das höhere Alter gar nicht mehr erreichen. Und auch die jungen Menschen haben mittlerweile verstanden: ein höheres Rentenalter heißt, dass sie und nicht die Rentner*innen länger einzahlen und dafür kürzer, also weniger, Rente bekommen. Steigt die Altersgrenze an, bekommen die jungen Menschen pro Beitragseuro weniger Rente heraus.

Es spricht also schon heute viel gegen ein höheres Rentenalter. Nicht zuletzt zeigen aktuelle Auswertungen, dass der Rentenbeginn aktuell schneller steigt als die Lebenserwartung der Menschen. Wer heute in Rente geht, hat weniger Jahre in Rente zu erwarten als Personen, die vor zehn oder zwanzig Jahren in Rente gingen. 

Alter Wein in neuen Schläuchen

Seit einiger Zeit aber gibt es eine neue Begründung für die Anhebung des Rentenalters: Der Fachkräftemangel. In dieses Horn blies zuletzt wieder Jens Spahn zum Generalangriff auf die Rente mit 63: „Die 'Rente mit 63' kostet Wohlstand, belastet künftige Generationen und setzt die falschen Anreize“, so Jens Spahn in der BILD. Denn, die „Fachkräfte, die früher in Rente gegangen seien, fehlten nun 'bitterlich'." Diese Aussagen sind so falsch wie absurd.

Zunächst ist es schlicht falsch, dass heute irgendwer mit 63 abschlagsfrei in Rente geht: Der letzte Jahrgang, der mit 63 abschlagsfrei in Rente gehen konnte, war der Jahrgang 1952. Aktuell kann, wenn 45 Arbeitsjahre inkl. Kindererziehung und Pflege vorliegen, der Jahrgang 1959 mit 64 Jahren und zwei Monaten abschlagsfrei in Rente gehen. Das heißt, alle die nach dem 1. November 1959 geboren sind können erst 2025 abschlagsfrei gehen.

Aber viel witziger: Spahn will den vorzeitigen Rentenbeginn abschaffen, weil die, die schon in Rente sind, fehlen? Entweder müsste Herr Spahn den Kolleginnen und Kollegen die Rente wieder wegnehmen und sie zurück zur Arbeit schicken, oder aber die Abschaffung der Rente mit 63 würde an der Gesamtsituation nichts ändern. Der Vorschlag ist damit nichts als heiße Luft.

Auch darüber hinaus ignoriert Herr Spahn gekonnt die Faktenlage, um eine möglichst eingängige Botschaft zu setzen. Zum einen dürfen seit dem 1. Januar 2023 alle Rentner*innen neben ihrer Altersrente so viel verdienen, wie sie wollen – einen Hinzuverdienst gibt es seitdem ja nicht mehr. Das heißt, am Renteneintritt kann es gar nicht liegen, dass die Menschen nicht mehr arbeiten gehen. Es sind dann doch wohl doch die Arbeitsbedingungen, die Bezahlung und die eigene Gesundheit, die die Menschen veranlassen, bei einem Rentenniveau von 48 Prozent auf erhebliche Teile ihres Einkommens zu verzichten. Die Vermutung liegt also nahe, dass der Fachkräftemangel viel effektiver und schneller zu beheben wäre, wenn Unternehmen in Deutschland ihren Beschäftigten auch gute, gesundheitsförderliche, alterns- und altersgerechte Arbeitsbedingungen sowie adäquate Löhne bieten würden. Sowas wiederum kommt in der Gedankenwelt eines Jens Spahn nicht vor: Er lehnte die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro ebenso ab wie die jüngsten Streiks für höhere Löhne.

Aber viel wichtiger ist, dass Herr Spahn ganz offenkundig die aktuelle Studienlage nicht kennt. Demnach ist ein höheres Alter für den frühesten Rentenbeginn gerade bei Menschen in belastenden Berufen akut lebensgefährlich. So steigt die Wahrscheinlichkeit gerade für Menschen in belastenden Tätigkeiten, vor dem 69 Lebensjahr zu sterben an, wenn für sie das Alter für den frühestmöglichen Rentenbeginn angehoben wird. 

Die soziale Situation der Menschen und die Studienlage ist also eindeutig. Ein höheres Rentenalter ist für alle eine Rentenkürzung, für die einen mehr, als für die anderen. Es belastet die hart arbeitende Bevölkerung im besonderen Maße. Sie verkürzt sogar die Lebenserwartung, womit das „Malochen bis in die Kiste“ nochmal eine ganz neue Bedeutung bekommt. Richtig ist auch: Nichts saniert die Finanzlage der Rentenversicherung so gut, wie den Menschen zu sagen ihr müsst länger einzahlen, um weniger rauszubekommen. Aber alle, die das nicht gesund in Lohn und Brot schaffen, zahlen die Zeche durch Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Tod. Diese finanzielle Wunderkur für die Rentenversicherung wird also definitiv bezahlt von den Schwächsten. Daran ändert auch das substanzlose Geschwätz von einer besseren Rente bei Erwerbsminderung nichts. Selbst wenn die Erwerbsminderungsrente sehr großzügig gewährt würde – was Herr Spahn wohl kaum im Blick hatte – bleibt es dabei: der Kreis der Verlierer*innen wird vielleicht etwas kleiner, aber wer früher stirbt oder zu gesund für die Rente und trotzdem arbeitslos ist, hat auch davon nichts.

Statt Rentenkürzungen gute, sichere Übergänge in die Rente

Statt über immer späteren Rentenbeginn zu schwadronieren ist es an der Zeit, allen Menschen eine gute Perspektive für den Übergang von der Arbeit in die Rente zu bieten. Das beginnt bei guten Arbeitsbedingungen, die die Menschen nicht nur nicht krank machen, sondern ihrer Gesundheit zuträglich sind. Es geht weiter über verschiedene Instrumente, den Übergang von der Arbeit in die Rente für gerade jene sozial auszugestalten, die nicht gesund im Job bis zum Rentenalter kommen, bis dazu, dass Arbeitgeber auch Älteren, die noch arbeiten können und wollen, offener begegnen müssen und älteren Menschen auch über Minijobs hinaus endlich ordentlich bezahlte Arbeitsplätze anbieten müssen. Zu einem solchen Paket gehört auch ein erleichterter Zugang zu einer guten Erwerbsminderungsrente. Das wäre sozial und fair – uns würde zudem den einen oder die andere Fachkraft bestimmt dazu bewegen können, länger im Erwerbsleben zu bleiben.

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