Seit dem 1. Juni können ukrainische Geflüchtete in der Regel Grundsicherungsleistungen beziehen statt wie bislang Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Für die Arbeitsmarktintegration erwerbsfähiger Geflüchteter sind künftig die Jobcenter statt der Agenturen für Arbeit zuständig. Im Detail gibt es im Übergang einige Probleme. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Seit dem 1. Juni können ukrainische Geflüchtete in der Regel Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (oder Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch) beziehen statt wie bislang Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Für die Arbeitsmarktintegration erwerbsfähiger Geflüchteter sind künftig die Jobcenter statt der Agenturen für Arbeit zuständig. Im Detail gibt es im Übergang einige Probleme.
Die Regelungen betreffen alle Geflüchteten, die eine Aufenthaltsgewährung zum vorübergehenden Schutz (nach Paragraf 24 AufenthG) beantragt haben. Derzeit betrifft das nur Geflüchtete aus der Ukraine, da für sie erstmals die Richtlinie zum vorübergehenden Schutz angewendet wurde. Diesen Schutz genießen ukrainische Staatsangehörige sowie Personen mit anderer Staatsangehörigkeit, die in der Ukraine beispielsweise als Studierende einen legalen Aufenthaltsstatus hatten.
Sie erhalten ab dem 1. Juni einen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen (oder Hilfe zum Lebensunterhalt als Leistungsform der Sozialhilfe). Die Unterscheidung zwischen Grundsicherungs- und Sozialhilfeanspruch richtet sich danach, ob im Haushalt mindestens eine Person lebt, die mindestens drei Stunden am Tag arbeiten kann.
Voraussetzung für den Anspruch auf Grundsicherung
Voraussetzung für den Grundsicherungsanspruch (und auch den Sozialhilfeanspruch) ist neben den allgemeinen Voraussetzungen wie der Hilfebedürftigkeit, dass Geflüchtete eine Aufenthaltserlaubnis nach Paragraf 24 Aufenthaltsgesetz beantragt haben, und dass ihnen eine sogenannte Fiktionsbescheinigung nach Paragraf 81 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz ausgestellt wurde – die auch nicht-ukrainischen Staatsangehörigen erteilt wird, die aus der Ukraine geflohen sind . Diese von den Ausländerbehörden ausgestellte Fiktionsbescheinigung ist der Nachweis, dass eine Aufenthaltserlaubnis beantragt wurde. Wenn statt der Fiktionsbescheinigung schon die Aufenthaltserlaubnis vorliegt, gilt dasselbe wie bei Vorliegen der Fiktionsbescheinigung. Die weiteren Voraussetzungen hängen von der Fallgruppe ab – dazu siehe unten.
Abweichend von den allgemeinen Regelungen ist der Bewilligungszeitraum für die Grundsicherung von einem Jahr auf sechs Monate verkürzt, das heißt: Nach sechs Monaten muss erneut über den Anspruch entschieden werden. Damit soll geprüft werden, ob zwischenzeitlich die Aufenthaltserlaubnis abgelehnt wurde und damit kein Anspruch mehr auf Grundsicherungsleistungen besteht.
Welche Verwaltung ist zuständig?
Mit dem neuen Leistungssystem ändert sich auch die Verwaltungszuständigkeit: Für die Leistungsgewährung sind bei Grundsicherungsleistungen die Jobcenter zuständig (statt der Sozialämter, die für Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zuständig sind). Für die Arbeitsmarktintegration sind ebenfalls die Jobcenter statt wie bislang die Agenturen für Arbeit zuständig. Für die Hilfe zum Lebensunterhalt für alle nicht Erwerbsfähigen sind hingegen die Sozialämter zuständig.
Welche Leistungen gibt es außerdem?
Wer Grundsicherung bezieht, kann neben Geld- und Arbeitsförderleistungen auch kommunale Eingliederungsleistungen erhalten, zum Beispiel Kinderbetreuung und psychosoziale Hilfen. Allerdings besteht darauf kein Rechtsanspruch und diese Leistungen sind nicht überall gleichermaßen verfügbar.
Für weitere Voraussetzungen des Grundsicherungsanspruchs sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden. Dasselbe gilt für die Hilfe zum Lebensunterhalt. Im Folgenden ist an dieser Stelle nur von Grundsicherung die Rede, da dies die praktisch bedeutsamere Variante ist. Ferner ist im Folgenden von der Fiktionsbescheinigung die Rede. Wenn statt der Fiktionsbescheinigung schon die Aufenthaltserlaubnis vorliegt, gilt jedoch dasselbe wie bei Vorliegen der Fiktionsbescheinigung.
Fallgruppe 1: Fiktionsbescheinigung oder Ersatzbescheinigung erhalten bis einschließlich 31.5.2022
Der Grundsicherungsanspruch setzt neben der Fiktionsbescheinigung eine erkennungsdienstliche Behandlung voraus, soweit sie aufenthaltsrechtlich vorgesehen ist. Wer nach dem 24.2. und vor dem 1.6. eingereist ist und die Fiktionsbescheinigung bis einschließlich 31.5 erhalten hat, musste vorerst noch nicht erkennungsdienstlich behandelt, aber im Ausländerzentralregister registriert sein. Die erkennungsdienstliche Behandlung musste bis zum 31.10. nachgeholt werden.
Da es zwischenzeitlich einen Mangel an Spezialpapier der Bundesdruckerei gab, haben einige Geflüchtete von der Ausländerbehörde keine Fiktionsbescheinigung auf dem offiziellen Papier (Klebeetikett), sondern nur eine Ersatzbescheinigung erhalten. Auf Grundlage einer Weisung der Bundesagentur für Arbeit wurden solche Ersatzbescheinigungen, die bis einschließlich 31.5. ausgestellt wurden, übergangsweise bis zum 31.10. wie eine Fiktionsbescheinigung akzeptiert.
Zwischen dem 1.6. bis zum 31.8. galt der Antrag auf Grundsicherungsleistungen für diejenigen als gestellt, die (noch) nach dem Asylbewerberleistungsgesetz leistungsberechtigt waren, die also schon vor dem 1.6. die Voraussetzungen für den Rechtskreiswechsel erfüllten.
Um Lücken zu vermeiden, wenn Grundsicherungsleistungen nicht rechtzeitig gewährt wurden, konnten diejenigen, die vor dem 1.6. Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezogen hatten, diese weiterbeziehen, auch wenn sie die Voraussetzungen für den Grundsicherungsanspruch erfüllen und damit eigentlich von den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ausgeschlossen waren. Diese Übergangsregelung galt bis zum 31.8. Der Anspruch endete, wenn der Grundsicherungsträger anzeigte, dass er die Leistung gewährt. Die Grundsicherung wird rückwirkend nachgezahlt und es wird unter den Leistungsträgern abgerechnet.
Fallgruppe 2: Fiktionsbescheinigung erhalten nach dem 31.5.2022
Grundsicherungsleistungen müssen beantragt werden. Anders als bei denjenigen, deren Fiktionsbescheinigung bis einschließlich 31.5. vorlag, gilt der Antrag bei denjenigen, bei denen sie erst danach vorliegt, nicht automatisch als gestellt. Wurde der Antrag auf Grundsicherungsleistungen bereits vor dem 1.6. gestellt, hat dies keine negativen Konsequenzen.
Seit dem 1. Juni ist für den Grundsicherungsanspruch neben der Fiktionsbescheinigung eine erkennungsdienstliche Behandlung erforderlich. Auch die Fiktionsbescheinigung selbst wird künftig nur noch nach erkennungsdienstlicher Behandlung erteilt. Wer noch nicht über eine Fiktionsbescheinigung verfügt, muss daher zunächst erkennungsdienstlich behandelt werden. Da es zu wenige Geräte zur erkennungsdienstlichen Behandlung gibt, ist mit Verzögerungen zu rechnen. Daraus ergibt sich das Problem, dass die Leistungsvoraussetzungen nicht sofort nach der Einreise vorliegen. Solange die Voraussetzungen nicht vorliegen, besteht kein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen. Damit bestehen zwei Möglichkeiten:
a) Es können zunächst Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beantragt werden. Sofern ein Anspruch besteht, werden zunächst die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gezahlt. Auch in dem Monat, in dem die Voraussetzungen für den Grundsicherungsanspruch erfüllt werden, werden noch Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gezahlt. Erst im Folgemonat kann ins Grundsicherungssystem gewechselt werden. Dieser Umweg über das Leistungssystem des Asylbewerberleistungsgesetzes wäre vermeidbar gewesen, wurde vom Gesetzgeber jedoch billigend in Kauf genommen, da sicherheitspolitischen Erwägungen Priorität eingeräumt wurde.
b) Werden hingegen keine Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezogen, können noch in dem Monat, in dem alle Voraussetzungen für den Grundsicherungsanspruch vorliegen, Grundsicherungsleistungen bezogen werden. Das ist aber nur für diejenigen möglich, die die Zeit bis dahin finanziell überbrücken können.
Sofern seit dem 1.6. noch Ersatzbescheinigungen ausgestellt wurden, werden diese nicht als Fiktionsbescheinigungen anerkannt.
Eine gute Übersicht über diese und viele weitere Regelungen, gegliedert nach Fallgruppen, bietet die Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e.V..