Die Deutschen arbeiten nicht genug und melden sich ständig krank? So tönt es immer wieder aus neoliberaler und konservativer Ecke sowie von Arbeitgeberseite. Das Gegenteil ist der Fall! Das viel größere Problem ist, dass Beschäftigte sich krank zur Arbeit schleppen. Hier erklärt der DGB-Experte Rolf Schmucker, wie verbreitet das Problem ist und vor allem: warum?
Hand aufs Herz: Schon mal krank zur Arbeit gegangen? Das tut nämlich die große Mehrheit der Beschäftigten. Die Nase läuft, der Hals schmerzt – aber bei der Arbeit steht ein wichtiger Termin an oder einfach nur der ganz normale Arbeitsstress. Diese Situation kennen viele Arbeitnehmer*innen. Sie gehen zur Arbeit, obwohl sie eigentlich ins Bett gehören.
“Das Phänomen heißt ‚Präsentismus‘”, erklärt Rolf Schmucker, Leiter des DGB-Index Gute Arbeit. Er und sein Team haben mit ihrer Forschung den Präsentismus gründlich untersucht – ihnen liegen Zahlen der letzten zwölf Jahre vor. Präsentismus ist also kein neues Phänomen. “Schon vor der Corona-Pandemie gaben regelmäßig zwei Drittel der Befragten an, auch krank zu arbeiten”, so Schmucker. Während der Pandemie – in den Jahren 2020 und 2021 – gingen die Zahlen dann deutlich zurück. Doch jetzt sind sie wieder auf dem Vor-Pandemie-Niveau angekommen. “Während der Pandemie gab es eine ganz andere Aufmerksamkeit für dieses Thema. Das hat sich leider nicht gehalten”, so Schmucker. In der neuesten Auswertung für 2024 sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache: 63 Prozent der Beschäftigten gaben an, auch gearbeitet zu haben, obwohl sie sich ‚richtig krank‘ fühlten. Rund jede*r Fünfte ging weniger als eine Woche krank zur Arbeit. 44 Prozent arbeiteten sogar länger als eine Woche trotz Krankheit.
“Die Frage ist ‚warum tun Beschäftigte das‘?”, sagt Schmucker, “Es gibt starke Zusammenhänge zwischen Arbeitsbelastung und Präsentismus”. Kurz: Je größer die Belastung, desto eher wird krank gearbeitet. „Das geschieht aus dem Druck heraus – ‚es ist schon so viel Arbeit, wenn ich ausfalle, wird der Stapel noch höher‘ oder es gibt keine guten Vertretungsregeln“, so Schmucker.
Präsentismus ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. “Für die Betroffenen selbst bedeutet es, dass sich ihre Krankheit unter Umständen verschlimmert, wenn sie sich nicht schonen. Bei ansteckenden Krankheiten können sie Kolleg*innen anstecken, insgesamt führt das dann zu mehr Fehltagen, als wenn sie gleich im Bett geblieben wären”, erklärt Schmucker. Auch Arbeitgeber profitieren also nicht davon, dass ihre Beschäftigen krank zur Arbeit erscheinen, im Gegenteil.
Eine gute Nachricht hat Schmucker auch: Arbeitgeber können eine ganze Menge tun, um Präsentismus einzuschränken. Sie können für gesundheitsgerechte Arbeitsbedingungen und eine achtsame Betriebskultur sorgen. Davon profitieren alle Seiten.
(Rolf Schmucker leitet das Institut DGB-Index Gute Arbeit beim DGB-Bundesvorstand. Dazu werden jedes Jahr tausende Beschäftigte zu ihren Arbeitsbedingungen befragt.)
Quelle: einblick Februar 2025