Die Mobilitäts- oder Verkehrswende steht nicht vor der Tür – der Koalitionsvertrag schweigt dazu. Da überrascht es auch nicht, dass für die FDP Mobilität als Ausdruck individueller Freiheit in die zweite Reihe rückt: Volker Wissing setzt als „Minister für Digitales und Verkehr“ neue Prioritäten. Der DGB wird auf die Verbindung beider Aspekte drängen – und dass die technologisch und klimapolitisch getriebene Transformation im Verkehrssektor sozial gerecht gestaltet wird.
Ansätze hierfür bietet der Koalitionsvertrag durchaus: Leitbild soll eine nachhaltige, effiziente, barrierefreie, intelligente, innovative und für alle bezahlbare Mobilität sein. Sie wird als zentraler Baustein der Daseinsvorsorge und Voraussetzung für gleichwertige Lebensverhältnisse bezeichnet. Deshalb wird der Pandemie-Rettungsschirm für den Öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) auch in 2022 fortgeführt.
Faire Arbeitsbedingungen in der gesamten Mobilitätswirtschaft
Soll die Tariftreue gestärkt werden, müssen Tarifverträge bei öffentlichen Ausschreibungen zur Bedingung werden. Hier kommt es darauf an, dass die Gewerkschaften „politisch nacharbeiten“, denn es gibt eine Hintertür: „Mittelständische Interessen sind bei der Vergabe zu berücksichtigen“. Auch am Vorrang eigenwirtschaftlicher Verkehre soll weiterhin festgehalten werden. Der DGB unterstützt eine gesetzliche Klarstellung, die bei allen öffentlichen Auftragsvergaben repräsentative Tarifverträge und bei Betreiberwechseln der Personalübergang für alle Beschäftigten unter den bestehenden Arbeits- und Sozialbedingungen ohne Einkommensverluste vorschreibt.
Die Durchsetzung besserer Sozialstandards und Arbeitsbedingungen ist auch in der Logistik weiterhin Thema. Hier wird ein ganzes Bündel von richtigen Maßnahmen geschnürt, inkl. der Stärkung der Kontrollbehörden. Aber der Kampf gegen nicht nachhaltige Geschäftsmodelle, die auf Ausbeutung der Beschäftigten und dem Unterlaufen nationaler Sozialversicherungssysteme basieren, muss auf europäischer Ebene ansetzen.
In eine klimagerechte Verkehrsinfrastruktur investieren
Der DGB hat dafür geworben, eine Kreditaufnahme im Umfang der Nettoinvestitionen zu erlauben, um die unstrittige Ausweitung der Investitionen in eine klimaverträglichere Verkehrsinfrastruktur zu ermöglichen. Auf eine entsprechende Investitionsregel konnte sich die Koalition nicht einigen.
Der klimagerechte Umbau des Mobilitätssystems steht und fällt mit der Zusage der Koalitionäre, die notwendigen Finanzmittel zu mobilisieren. Die Investitionsfelder werden richtig und z.T. detailliert benannt. Die Beschleunigung der Planungs- und Umsetzungsprozesse soll in Angriff genommen werden, u.a. mit mehr Ressourcen und Dialogverfahren. Der DGB begrüßt den Vorrang der Schiene im Bundesverkehrswegebau und einen Dialogprozess für einen neuen Infrastrukturkonsens. Die Bedarfsplanüberprüfung muss zur Revision des BVWP genutzt werden. Ziel ist die Verständigung über Prioritäten bei der Umsetzung des geltenden BVWP. Neue Kriterien für einen neuen „Bundesverkehrswege- und -mobilitätsplan 2040“ müssen mit dem Ziel der Klimaneutralität 2045 vereinbar sein. Die Zusammenführung von Autobahn GmbH und DEGES ist richtig.
Ausbau des öffentlichen Verkehrs
Ein erheblich ausgeweiteter öffentlicher Nahverkehr braucht eine neue Finanzierungsbasis, damit er für alle bezahlbar bleibt. Der im Koalitionsvertrag anvisierte Ausbau- und Modernisierungspakt von Bund, Länder und Kommunen u.a. zur Finanzierung weist in diese Richtung. Ein erster Schritt ist eine deutliche Erhöhung der Regionalisierungsmittel und eine verlässliche, nachhaltige Investition in das Personal. Wichtig ist auch, dass Qualitätskriterien und Standards für Angebote und Erreichbarkeit für urbane und ländliche Räume definiert werden sollen. Digitale Mobilitätsdienste, innovative Mobilitätslösungen und Carsharing müssen in eine langfristige Strategie für autonomes und vernetztes Fahren öffentlicher Verkehre einbezogen werden.
Die Deutsche Bahn AG soll als integrierter Konzern im öffentlichen Eigentum erhalten werden. Gleiches gilt für den konzernweiten Arbeitsmarkt. Damit wird eine wichtige DGB-Forderung erfüllt. Was die Bündelung der Infrastruktureinheiten für die Beschäftigten und für das Ziel, mehr Menschen und Güter zu transportieren, bedeutet, muss aufmerksam verfolgt werden.
Mobilitätswende kommunal?
Es gibt keinen Masterplan Mobilität, in dem wichtige Bausteine einer Mobilitätswende integriert werden: Stärkung von Multimodalität, Schiene und ÖPNV, Datenraum Mobilität, Deutschland als Leitmarkt für Elektromobilität, emissionsfreie Stadtlogistik, verpflichtende Schienenanbindung bei neuen Gewerbe- und Industriegebieten.
Zu mehr Lebensqualität in Städten und Gemeinden und den Handlungsfeldern, die dafür eröffnet werden müssen, sagt der Koalitionsvertrag wenig. Aber die Kommunen sollen in Zukunft durch Änderungen im Straßenverkehrsgesetz und der StVO nicht nur Flüssigkeit und Sicherheit im Verkehr, sondern auch Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung verfolgen können. Das erweitert ihre Entscheidungsspielräume erheblich. Wichtige Elemente sind zudem die Vereinfachung und Entbürokratisierung der Förderprogramme, die Weiterentwicklung des Verkehrssicherheitsprogramms im Sinne der Vision Zero oder die Nationale Fußverkehrsstrategie.
Industriepolitische Flankierung der Mobilitätswende
Aus Sicht des DGB gilt es, einen Paradigmenwechsel einzuleiten: Transformation ist nicht nur Sache der Unternehmen, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Bundesregierung scheint diese anzunehmen, was sich nicht nur an der Förderung regionaler Transformationsnetzwerke zeigt. In den verschiedenen Sparten des Fahrzeugbaus werden die Herausforderungen der Transformation erkannt. Vor allem für die Automobilindustrie, aber auch für die Luftfahrt und den Schiffbau werden die industrie- und klimapolitisch wichtigen Handlungsfelder benannt.
Die Transformation der Automobilindustrie spielt für die Mobilitätswende eine zentrale Rolle. Die Umstellung der Automobilproduktion auf Elektrofahrzeuge ist ein zentraler Baustein für ein klimagerechtes Mobilitätssystem. Anspruchsvoll ist das Ziel, Deutschland als Leitmarkt für Elektromobilität mit 15 Mio. Elektro-Pkw und 1 Mio. öffentlich zugängliche Ladepunkte bis 2030 zu positionieren. Industriepolitisch soll sie begleitet werden durch die IPCEI-Projekte. Die Bahnindustrie sollte von dem umfangreichen Maßnahmenpaket von dem Ausbau des Bahnverkehrs unter anderem zur Digitalisierung des Schienenverkehrs auch innovationspolitisch profitieren.