Der Frachtverkehr in Europa ist weiterhin durch Tarifflucht und Dumpinglöhne bestimmt. Das hat sich auch durch neue EU-Gesetze nicht geändert. Vor allem osteuropäische LKW-Fahrende sind oft monatelang in ganz Europa unterwegs. Sie werden nach Regeln ihres Heimatlandes angestellt und bezahlt, obwohl sie nie zu Hause sind.
Das Herkunftsland erhält auf dieser Basis Steuern und Sozialversicherungsabgaben. Das Lohnniveau macht die vor allem in Westeuropa Fahrenden arm, denn der Lebensunterhalt dort ist deutlich teurer. Motels oder Handwerkerunterkünfte sind schlicht unbezahlbar. Zwangsläufig campieren die Fahrenden unter unzumutbaren Verhältnissen auf überfüllten Autobahnraststätten in den LKWs bzw. Sprintern.
Nur die – meist westeuropäischen – Auftragsgeber profitieren, sie nutzen das Lohngefälle. Sie kaufen in Osteuropa günstig Transportleistung ein und unterlaufen so westeuropäische Tariflöhne. Mittelfristig werden Flächentarifverträge für LKW-Fahrende durch Tarifflucht unwirksam. Deutsche Speditionen unterliegen bereits heute im Regelfall keinen Tarifvertrag mehr, da sie Arbeitgeberverbände mit Tarifbindung verlassen. Diese Praktiken haben den Fachkräftemangel in der Logistik zusätzlich verschärft: Laut Schätzungen beläuft er sich in Deutschland auf rund 80.000, in der gesamten EU auf 400.000. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass vor einem Versorgungskollaps gewarnt wird[1].
Initiative „gerechte Vergütung durch Aufwärtskonvergenz“
Der DGB fordert auf EU-Ebene in der politischen Diskussion um das Mobilitätspaket seit 2017 gemeinsam mit ver.di, die Situation der LKW-Fahrenden durch Änderungen bei den Lenk- und Ruhezeiten, den Entsenderegeln oder der digitalen Erfassung und Kontrolle der Fahrtzeiten zu verbessern. Doch Reformen waren nur halbherzig, der Güterverkehr ist von der novellierten EU-Entsenderichtlinie, die den Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ stärkte, ausgenommen.
Deshalb stellen der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften bis zur Realisierung armutsfester europäischer Mindestlöhne nach der EU-Mindestlohn-Richtlinie einen neuen Lösungsansatz zur Diskussion:
- Sofern keine besseren tarifvertraglichen oder sonstigen Regelungen bestehen, ist den Kraftfahrenden im europäischen grenzüberschreitenden Verkehr der höchste national geltende Mindestlohn der europäischen Logistikbranche zu zahlen, sobald sie die Grenze ihres Heimatlandes überschritten haben. Gleiches gilt für die steuerrechtliche Spesenregelung – und unabhängig vom Zielland der Tour.
- Die Europäische Fahrerkarte erfasst ab 2024 die Überquerung von Ländergrenzen. Die Heimatländer der international tätigen Kraftfahrerenden müssten daran interessiert sein, dass Steuern und Sozialabgaben dem höchsten europäischen Mindestlohn entsprechend abgeführt werden. Sie sollten daher zur Datenauswertung verpflichtet werden.
Mit diesem Vorschlag würden gleichzeitig weitere positive Entwicklungen angestoßen:
Durch die Verteuerung internationaler LKW-Fahrten ist die Verlagerung auf die Schiene im kombinierten Verkehr zu erwarten – ein wichtiger Beitrag zum „Green Deal“ der Europäischen Union. Rastplätze auf den Autobahnen werden entlastet, da Motels und Handwerkerunterkünfte bezahlbar werden.
Die Europäischen Beschäftigten erwarten sich von der Konferenz zur Zukunft Europas, dass Reformen angestoßen werden, die den Binnenmarkt sozial gestalten. Eine seiner wichtigsten Säulen ist eine gut funktionierende grenzüberschreitende Logistik. Es liegt daher im Interesse der Unternehmen, attraktive Arbeitsbedingungen zu bieten, um den Fahrermangel zu stoppen. Aber auch den Mitgliedstaaten muss daran gelegen sein, die Aushöhlung der sozialen Sicherungssystem durch Lohndumping zu verhindern. Eine gerechte Vergütung der LKW-Fahrenden ist dafür die Grundvoraussetzung.
[1] BGL-Vorstandssprecher Dirk Engelhardt u.a. am 12.09.2021 (t-online), zuvor schon ggü. Welt (2.06.2019)