Die Wirtschaft stottert und dafür braucht es einen Sündenbock. Deshalb beginnt das neue Jahr mit Verdächtigungen und Schuldzuweisungen gegenüber Beschäftigten. Die Forderung des Allianz-Chefs Bäte nach Karenztagen – also kein oder weniger Lohn bei Krankmeldung – ist ebenso unverschämt wie unklug.
Für seine Unterstellungen gibt es nämlich keinerlei Belege. Der scheinbar hohe Krankenstand beruht im Wesentlichen auf einem statistischen Effekt: Statt der bisherigen Zettelwirtschaft gibt es seit 2023 die elektronische Krankmeldung. Beschäftigte müssen sich nicht mehr mit Fieber und Husten zum Briefkasten schleppen, um den "gelben Schein" an ihre Krankenkasse zu senden – das haben nämlich nie alle Kranken geschafft. Durch das neue Verfahren werden jetzt erstmals 100 Prozent der Krankmeldungen erfasst. Die Zahl der Krankmeldungen steigt außerdem leicht durch Erkältungs- und Grippewellen und Corona-Infektionen.
Ohnehin ist es eine Schnapsidee, Beschäftigte unter Androhung finanzieller Einbußen krank an den Arbeitsplatz zu zwingen. Wer krank und arbeitsunfähig ist, gehört weder an die Werkbank noch ins Büro, er muss sich auskurieren. Das darf keine Frage des Geldbeutels sein. Sonst steigt für den einzelnen das Risiko, länger und ernsthafter zu erkranken und für die Kollegen die Gefahr, sich anzustecken. Auch das Unfall- und Fehlerrisiko steigt – das führt zu Produktivitätsverlusten und kommt die Unternehmen erst recht teuer zu stehen. Die Folgekosten von Präsentismus – also krank zu arbeiten – sind etwa doppelt so hoch wie die Kosten krankheitsbedingter Fehlzeiten.
Der Vorschlag des Konzernchefs ist auch aus einem anderen Grund perfide. Denn während er mit seinem Verdienst über 7 Millionen Euro pro Jahr in den Top Ten unter den bestbezahlten Dax-Chefs rangiert, sind unbezahlte Krankentage für viele Beschäftigte eine existenzielle Frage. Corona-Krise, Inflation und steigende Mieten haben ihre finanziellen Reserven aufgezehrt. Ein Karenztag schlägt mit fünf Prozent weniger Lohn richtig ins Kontor. Was Vorstandsvorsitzende und hoch dotierte Wissenschaftler nicht kratzen mag, ist für normale Beschäftigte nicht zu verkraften.
Wer wirklich will, dass Krankenstände sinken, sorgt für mehr Prävention, besseren Arbeits- und Gesundheitsschutz, gute Arbeitsbedingungen und altersgerechte Arbeitsplätze. Die Betriebe haben es selbst in der Hand.