Traditions-Fabrik schließen? Nicht mit uns!
Einfach aufgeben, nur weil dem Mutterkonzern die Kostenstrukturen eines Standorts nicht gefallen? Das kam für die rund 650 Mitarbeiter*innen von Knorr in Heilbronn nicht in Frage. Unilever wollte den Standort 2019 schließen – eine traditionsreiche Fabrik, an der Knorr vor über 180 Jahren gegründet wurde. Zunächst initiierte der Betriebsrat eine Welle des Protestes. Aber nur Widerstand würde nicht reichen, das war klar. Er erarbeitete deshalb ein Alternativkonzept mit externen Sachverständigen. „Wir haben uns die Frage gestellt: Wenn der Standort uns gehören würde, welches Produktportfolio wäre notwendig? Wie müssten die Strukturen aussehen?“, sagt Betriebsratsvorsitzender Thilo Fischer.
Dieser Gedanke wurde radikal durchdacht. „Neben der Arbeitsorganisation wurden auch Arbeitsabläufe digitalisiert und umstrukturiert – unter Einbindung von Mitarbeitende und Führungskräfte. Jeder Stein wurde quasi umgedreht, um zu analysieren: Was geht besser?“, berichtet Fischer. Allerdings traf das auch eigene Arbeitsplätze. Also schloss der Betriebsrat Kündigungen aus – und entwickelte stattdessen hochattraktive Freiwilligenprogramme mit. Um Kosten zu senken, wurden manche Produktionslinien abgegeben und weniger kostenintensive Produkte integriert. Und es entstand ein neuer Entgelt- und Zukunfts-Tarifvertrag: „Früher wurde arbeitsplatzbezogen eingruppiert. Jetzt ist das Entgelt von der Qualifizierung und der Funktion abhängig. Dabei war von Anfang an klar: Bestehende Bezüge werden nicht angetastet.“ Für dieses komplexe Konzept arbeiteten alle zusammen, Beschäftigte, Vorgesetzte, Technikexperten und die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG). „Es waren alle dabei. Voraussetzung dafür ist ein Umgang der Betriebsparteien auf Augenhöhe, und ein Schulterschluss vor Ort. Da geht es um Vertrauen und um Respekt“, sagt Fischer. „Wir wollen alle Wertschöpfung beim Unternehmen, aber davon müssen auch die Beschäftigten profitieren“. Der Vorschlag überzeugte Unilever – die Schließung ist abgewandt und der Standort bis 2030 gesichert. Ausruhen will sich aber keiner bis dahin. „Wir haben gezeigt: Mitbestimmung ist ein Wettbewerbsvorteil. Nun müssen wir bis 2030 die Wettbewerbsfähigkeit ausbauen. Dafür benötigen wir Investitionen“, fordert Fischer. Dafür gab es nun den Betriebsräte-Preis in Gold 2023.
Nach der Umweltkatastrophe: Rettung aus dem Nichts
Es ist so schon kaum vorstellbar, das Unglück in Ahrweiler 2021. Als aus der gemächlichen Ahr ein reißender Fluss wurde, der alles mitriss. Innerhalb von Stunden verloren viele Anwohner alles, und manche ihr Leben. Mittendrin – der Arbeitsplatz von rund 280 Menschen, die Niederlassung der ZF Friedrichshafen, einer der größten Arbeitgeber vor Ort. In der Halle produzierten die Beschäftigten elektronische Ventile für Stoßdämpfer. Und nach dieser Nacht: Nichts mehr. „Uns war klar: Wir haben viel verloren“, sagt Betriebsrat Rainer Stenz. „Aber hast Du keine Arbeit, wird es noch schlimmer. Wir haben dann erst mal geschaut: Was kann man noch retten?“ Also packten alle mit an, die konnten, Schlamm und kaputte Anlagen wegräumen. „Man ist arbeiten gegangen, dann hat man bis nachts zuhause weitergemacht, und dann geschlafen. Duschen ging nicht, nur Handwäsche.“
Und es kam noch schlimmer: ZF, ohnehin nie ein großer Fan des relativ kleinen Standorts, belohnte die Kolleg*innen nicht für ihr Engagement, sondern verkündete, dass man den Standort schließen wolle – wegen zukünftiger Hochwassergefahr. Aber da hatte der Konzern sich gründlich verrechnet: Der ganze Ort stand dagegen auf. „Die Solidarität im Ort war hoch, jeder kannte ja jemanden, der hier arbeitet“, erzählt Stenz. Auf allen Ebenen wurde gekämpft, mit dem Gesamtbetriebsrat, mit der Politik, und natürlich gemeinsam mit der IG Metall. „Die hat uns sehr geholfen“. Der Wucht der Emotionen und Argumente hielt ZF nicht stand – es wurde ein neuer Standort gefunden, 30 Kilometer weiter, im Brohltal. 2026 soll das neue Werk eröffnen, hochmodern ausgestattet. „Der Vertrag ist hieb und stichfest. Weil da steht: Die Beschäftigungssicherung bleibt, bis das neue Werk steht. Das heißt, wenn sie nicht bauen, gilt der Vertrag weiter“, sagt Stenz. Der erfolgreiche Widerstand hat nun dem Betriebsrat und seiner Belegschaft den Betriebsräte-Preis 2023 in Silber eingebracht.
In Richtung Zukunft: zum grünen Kali-Bergwerk
Betriebsräte sind meist Gremien, die den Kompromiss suchen. Aber manchmal sind sie mutiger als sich ein Unternehmen das je vorstellen kann – und drehen das ganz große Rad. Wie an den drei hessisch-thüringischen Standorten von K+S, Kali und Salz, dem Verbundwerk Werra. Es ist eines der größten Bergwerke weltweit. Hier wird Kali gewonnen, ein Stoff, der für Chemie und Pharmazie sehr wichtig ist. 4500 Beschäftigte hat das Verbundwerk. Anfang 2021 wollte K+S hier – wieder einmal – restrukturieren. Aber dem Betriebsrat ging das nicht weit genug – er wollte eine echte Transformation. „Uns war klar: Das reicht nicht“, sagt Betriebsratsvorsitzender Andre Braun.
Ihr Vorstoß: Nicht nur die Schließung des Werks verhindern und Arbeitsplätze sichern. Sondern auch die ökologischen Probleme mindern, die der Abbau mit sich bringt. Riesige Abraumhalten, hohe CO2-Emissionen und salzige Abwässer. „Rohstoffgewinnung ist in Deutschland ohnehin schwierig, aber sie wird immer schwieriger, auch durch die ökologischen Auflagen“, sagt der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Stefan Böck. Also sammelten sie bei den Beschäftigten Ideen ein, erstellten ein komplexes Konzept und brachten das erfolgreich in das Unternehmen ein. Vorteil sei gewesen, dass es bereits eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Arbeitsdirektor und dem Vorstandsvorsitzende gab. „Wir waren auch auf strategischer Ebene eingebunden und konnten Entscheidungen mitbestimmen, auf Augenhöhe“ berichtet Böck. Wichtig außerdem: „Das Bollwerk IG BCE – ohne die Gewerkschaft hätten wir uns nie so einbringen können.“
Am Ende stand das Transformationsprojekt Werra 2060: Standortsicherheit und Beschäftigungssicherung. Senkung der Aufhaldung um 90 Prozent. Nur noch die Hälfte beim Prozessabwasser. Nur noch die Hälfte der CO2-Emissionen. „Das sind zentrale Bestandteile auf dem Weg zum Grünen Kali“, sagt Böck. Und weltweit einzigartig. Für dieses Engagement erhielten die Kolleg*innen den Betriebsräte-Preis in Bronze.
Der Deutsche Betriebsräte-Preis
Der Deutsche Betriebsräte-Preis ist eine Initiative der Fachzeitschrift Arbeitsrecht im Betrieb des Bund-Verlags. Der DGB ist Kooperationspartner des Deutschen Betriebsrätepreises. Alle Infos gibt es hier: www.dbrp.de
Im November wurden im Rahmen des Schöneberger Forums von DGB und DGB-Bildungswerk auch die Deutschen Personalräte-Preise verliehen: www.dprp.de