Ein Jahrzehnt der Gleichstellung soll es werden – so haben es sich die Ampel-Parteien in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Doch den gleichstellungspolitischen Ankündigungen sind zu selten Taten gefolgt: Wo es um die gleichberechtigte Teilhabe am Erwerbsleben und die Beteiligung von Männern an der Sorgearbeit geht, kommt die Ampel nicht aus der Kabine aufs Spielfeld. Für eine Bundesregierung, die sich das Thema Gleichstellung auf die Fahnen geschrieben hat, ist das zu wenig. Und den Verweis auf fehlende finanzielle Spielräume werden wir als Gewerkschafter*innen nicht akzeptieren.
Sorgearbeit geschlechtergerecht umverteilen
In Sachen Vereinbarkeit von Familie und Beruf formuliert die Ampel im Koalitionsvertrag noch hochmotiviert: „Wir unterstützen Eltern dabei, Erwerbs- und Sorgearbeit gerechter untereinander aufzuteilen.“ Doch in dieser Hinsicht ist die Ampel in der ersten Halbzeit nicht so richtig ins Spiel gekommen. Dabei sah es nach Anpfiff mit Blick auf die öffentliche Kinderbetreuung für die Bundesregierung noch ganz gut aus: Sie hat das Investitionsprogramm für den Ganztagsausbau an den Start gebracht, um damit Neubau, Umbau, Erweiterung und Sanierung sowie die Bildungs- und Betreuungsangebote im schulischen Ganztag zu finanzieren. Und sie hat das Gute-KiTa-Gesetz aus der letzten Legislaturperiode mit dem Kita-Qualitätsgesetz fortgeschrieben, so dass der Bund in diesem und dem kommenden Jahr rund 4 Milliarden Euro investiert, um die Kinderbetreuung zu verbessern. Dennoch sind Eltern verzweifelt, weil landauf, landab Fachkräfte fehlen, Angebote entfallen und Betreuungszeiten gekürzt werden. Und auch der für 2026 geplante Start des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung ist angesichts hoher Baukosten und der Fachkräftelücke nach Ansicht vieler Verantwortlicher vor Ort nicht gesichert.
Völlig torlos blieb die Koalition in der ersten Halbzeit in puncto Anreize, die Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern umzuverteilen. Statt gezielter Vorschläge für den versprochenen weiteren Partnermonat beim Elterngeld und den Ausbau des Kündigungsschutzes nach der Elternzeit gab es wegen des Sparwahns der FDP einen hektischen Ballwechsel zur Frage, wie beim Elterngeld am besten gekürzt werden kann. Und auch die Familienstartzeit, die zehntägige bezahlte Freistellung für Väter und zweite Elternteile rund um die Geburt eines Kindes, gelangte trotz Stürmerqualitäten der Bundesfamilienministerin bisher nicht über die Torlinie.
Aus der Deckung gekommen ist die Bundesregierung bisher auch nicht mit der geplanten Entgeltersatzleitung für pflegende Erwerbstätige, die ihre Arbeitszeit reduzieren, um Menschen mit Pflegebedarf zu unterstützen. Allerdings scheint daran – auf der Grundlage des 2. Berichtes des Beirates für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf, der im Sommer vorgelegt wurde – kräftig gearbeitet zu werden. Das lässt für die zweite Halbzeit hoffen. Wir Gewerkschaften werden uns dazu laut und deutlich von der Seitenlinie äußern, um das Familienministerium in diesem Vorhaben zu unterstützen.
Besonders schlecht steht es darum, haushaltsnahe Dienstleistungen zielgenau zu fördern, um Frauen zu entlasten – die häufig die Hauptlast im Haushalt tragen – und weibliche Fachkräfte zu gewinnen: Zwar wollte es die Ampel laut Koalitionsvertrag durch ein Zulagen- und Gutscheinsystem erleichtern, familien- und alltagsunterstützende Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, doch dieser Ball scheint gar nicht mehr im Spiel zu sein. Denn die Pläne, diese Branche zu regulieren und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in privaten Haushalten zu schaffen, scheinen Familien- und Arbeitsministerium vom Spielfeld geräumt zu haben. Aus Sicht der Gewerkschaften kann es hierfür nur die Rote Karte geben, denn die Pläne könnten Vereinbarkeit erleichtern, Frauenerwerbstätigkeit unterstützen und Schwarzarbeit durch gute Arbeit ersetzen.
Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben
Mit ihrem Koalitionsvertrag hat die Ampel sich dazu bekannt, die Erwerbstätigkeit von Frauen zu steigern und die Lohnlücke zu schließen. Damit hat sie hohe Erwartungen geweckt, aber noch vor der – für viele Frauen so wichtigen – Erhöhung des Mindestlohnes das erste Eigentor geschossen: Die Verdienstgrenze für Mini-Jobs auszuweiten, ist in jeder Hinsicht gleichstellungspolitisch kontraproduktiv.
Gegen Ende der ersten Halbzeit ist offensichtlich, dass es der Bundesregierung auch in der Abwehr an Strategie und Teamgeist mangelt. Denn weder die Fachkräftestrategie der Bundesregierung noch die Nationale Weiterbildungsstrategie überzeugen dadurch, die Geschlechterperspektive systematisch zu berücksichtigen.
Die Verdienstgrenze für Mini-Jobs auszuweiten, ist gleichstellungspolitisch kontraproduktiv.
Einen Volltreffer, um die Lohnlücke zu überwinden, hat allerdings die Europäische Union gelandet – mit den Gewerkschaften als Spielmacher. Auch wenn sich die deutsche Bundesregierung in der finalen Abstimmung im Ministerrat enthalten hat: Dank der EU-Entgelttransparenzrichtlinie müssen endlich auch die deutschen Gesetze bis 2026 verschärft werden. Sie verpflichtet Unternehmen dazu , über ihre Entgeltpraxis zu berichten und diese zu überprüfen, wenn Benachteiligungen festgestellt werden. Frauenministerin Paus hat angekündigt, noch in dieser Legislaturperiode einen Entwurf vorzulegen, um das Entgelttransparenzgesetz dementsprechend weiterzuentwickeln. Für die Umsetzung dieser langjährigen gewerkschaftlichen Forderung kann sie auf den engagierten Flankenschutz des DGB zählen.
Keinesfalls in der Abseitsfalle landen darf das Vorhaben der Koalition, „die Kombination aus den Steuerklassen III und V in das Faktorverfahren der Steuerklasse IV [zu] überführen.“ Denn das Ehegattensplitting gilt als steuerlicher Anreiz, der Frauen dazu verleitet, als „Hinzuverdienerin“ einer geringfügigen Beschäftigung nachzugehen und wirtschaftlich abhängig zu bleiben. Mit der Abschaffung der Steuerklassenkombination III/V zugunsten der Paarbesteuerung in Steuerklasse IV würden in einem ersten Schritt zumindest die Verdienste beider Partner*innen gemäß ihrer wirtschaftlichen Leistung besteuert und das kleinere Einkommen nicht unverhältnismäßig stark belastet.
Geschlechtergerechte Haushalts-, Finanz- und Investitionspolitik
Gleichstellungspolitisch in die Offensive käme die Bundesregierung in der zweiten Halbzeit auch, wenn sie ihre ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie – wie im Koalitionsvertrag verankert – weiterentwickelt, einen Gleichstellungs-Check für alle zukünftigen Vorhaben und Gesetze einführt und die Auswirkungen finanzpolitischer Maßnahmen auf die Gleichstellung der Geschlechter verstärkt in den Blick nimmt. Denn die Lebenswirklichkeiten von Frauen und Männer sind in vielen Bereichen so unterschiedlich, dass sich politische Vorhaben auf die Geschlechter ungleich auswirken und zuweilen gegenläufige Effekte haben. Daher müssen Gesetzesfolgen sowie die Verteilung von Geldern und Ressourcen gleichstellungsorientiert abgeschätzt werden.
Gewalt an Frauen beenden!
Eine Gelbe Karte droht der Bundesregierung kurz vor Ende der ersten Halbzeit bei der Bekämpfung von Gewalt an Frauen. Zwar hat sie die Vorbehalte ihrer Vorgängerin gegenüber der Istanbul-Konvention zurückgenommen und es erleichtert, politisch motivierter Hasskriminalität aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Identität zu erfassen und zu verurteilen. Aber die Pläne für eine ressortübergreifende Strategie, um geschlechtsspezifische und häusliche Gewalt gegen Frauen zu verhindern und zu bekämpfen sowie die Rechte der Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen, haben bisher nicht das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Und die ILO-Konvention 190, das Übereinkommen über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt, hat Deutschland – nicht zuletzt aufgrund des Drucks der Gewerkschaften – zwar ratifiziert, vom Umsetzungsbedarf ist die Bundesregierung aber noch nicht überzeugt.
Um in der Sprache des Fußballs zu bleiben: Das politische Spielfeld gehört der Bunderegierung vom Anstoß bis zum Abpfiff – eine Nachspielzeit oder gar ein Elfmeterschießen sind nicht vorgesehen. Daher muss die Ampel-Koalition auch unter den erschwerten Bedingungen von Krieg, Klimawandel und wirtschaftlicher Transformation ihre zweite Halbzeit dringend nutzen, um ihre gleichstellungspolitischen Ankündigungen über die Torlinie zu bringen. Dafür werden wir als Gewerkschaften weiterhin ordentlich Druck machen.