Die meisten Menschen, die aus der Ukraine fliehen, sind Frauen und Kinder. Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) verfügen rund die Hälfte der ukrainischen Migrant*innen in Deutschland über eine abgeschlossene Hochschulausbildung und vergleichbare Abschlüsse, 14 Prozent über berufsbildende Abschlüsse und 26 Prozent über eine höhere Schulbildung. Der DGB fordert, sie möglichst unkompliziert und schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Geflüchtete aus der Ukraine – Wer flieht derzeit nach Deutschland?
Seit Beginn des Krieges sind Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. In Deutschland waren im Ausländerzentralregister Ende Oktober 2022 rund eine Million Menschen aus der Ukraine registriert. Die meisten von ihnen sind ukrainische Staatsbürger*innen, mehr als ein Drittel Kinder und Jugendliche und unter den Erwachsenen fast drei Viertel Frauen.
Auch nach einem Forschungsbericht des IAB sind die meisten Menschen, die aus der Ukraine fliehen, Frauen und Kinder. Laut IAB verfügen "rund die Hälfte der Ukrainer*innen in Deutschland über eine abgeschlossene Hochschulausbildung und vergleichbare Abschlüsse, 14 Prozent über berufsbildende Abschlüsse und weitere 26 Prozent über eine höhere Schulbildung". Dies muss in die Gewichtung der laufenden politischen Maßnahmen einfließen, um eine nachhaltige Integration zu gewährleisten.
Welche Regelungen gelten für Geflüchtete aus der Ukraine?
Erstmals wird in der Europäischen Union die Richtlinie 2001/55/EG vom 20. Juli 2001 angewandt ("Richtlinie zum vorübergehenden Schutz"), die einen Aufenthalt ohne Asylverfahren von einem Jahr für Geflüchtete sichert. Sofern der Rat nichts anderes beschließt, verlängert er sich zweimal um jeweils sechs Monate und kann durch einen qualifizierten Ratsbeschluss um ein weiteres Jahr verlängert werden. Auf Grundlage der Richtlinie können Geflüchtete aus der Ukraine eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Aufenthaltsgesetz erhalten. Die entsprechende Regelung gilt derzeit bis März 2024. Sie können außerdem – nach jetzigem Stand bis zum 30. November – visumsfrei einreisen und den erforderlichen Aufenthaltstitel erst nach der Einreise einholen. Den Schutz des § 24 Aufenhaltsgesetz genießen neben ukrainischen Staatsangehörigen auch Personen mit anderer Staatsangehörigkeit, die sich am 24.2. aufgrund eines humanitären Schutzes in der Ukraine aufgehalten haben. Andere Drittstaatsangehörige fallen nur bedingt und unter bestimmten Voraussetzungen unter den Status des § 24.
Mit der Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Aufenthaltsgesetz haben diese Geflüchtete aus der Ukraine nun einen unbeschränkten Arbeitsmarktzugang. Die Ausländerbehörden erlauben entsprechend dem Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern und für Heimat bei Erteilung der Aufenthaltserlaubnis die Erwerbstätigkeit ausdrücklich. Eine Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit ist nicht notwendig. Auch bei einem Jobwechsel brauchen diese Geflüchteten aus der Ukraine keine neue Aufenthaltserlaubnis.
Ab dem 1. Juni 2022 haben Geflüchtete aus der Ukraine im Grundsatz Anspruch auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung, umgangssprachlich "Hartz IV" genannt) statt wie bislang auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Sofern ein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen besteht, ist für die Arbeitsmarktintegration seitdem statt der Agentur für Arbeit das Jobcenter zuständig. Soweit verfügbar, können Geflüchtete im Grundsicherungsbezug auch kommunale Eingliederungsleistungen wie Kinderbetreuung und psychosoziale Hilfen erhalten.
Voraussetzung für den Grundsicherungsanspruch ist, dass Geflüchtete eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Aufenthaltsgesetz beantragt haben und dass eine Fiktionsbescheinigung ausgestellt wurde. Ab dem 1. Juni ist auch eine erkennungsdienstliche Behandlung erforderlich. Wer nach dem 24.2. und vor dem 1.6.2022 eingereist war, konnte diese bis zum 31. Oktober nachholen, soweit sie aufenthaltsrechtlich vorgesehen ist.
Diejenigen, die schon Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezogen und die Voraussetzungen vor dem 1.6. erfüllten, wurden automatisch in das Leistungssystem der Grundsicherung überführt. Der Antrag galt in der Zeit vom 1.6. bis zum 31.8. als gestellt. Die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz wurden weitergezahlt, solange noch keine Grundsicherungsleistungen bezogen wurden. Auch Ersatzbescheinigungen für die Fiktionsbescheinigung (die nicht auf dem eigentlich erforderlichen Spezialpapier erstellt wurden) wurden für diesen Personenkreis übergangsweise bis zum 31.10. akzeptiert.
Wer hingegen ab dem 1.6.2022 einreist und Leistungen beantragt und den Lebensunterhalt nicht zwischenzeitlich anderweitig sichern kann, wird die Voraussetzungen für Grundsicherungsleistungen nicht rechtzeitig erfüllen können und vorübergehend zunächst Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen müssen. Denn anders als diejenigen, die vor dem 1.6. eingereist sind, muss dieser Personenkreis zunächst die erkennungsdienstliche Behandlung durchführen lassen, die sich aber aufgrund von Engpässen in den Ausländerbehörden verzögern dürfte. Der DGB kritisiert, dass dieses absehbare Problem im Gesetzgebungsverfahren nicht durch geeignete Regelungen vermieden wurde.
Informationen stellt auch die Bundesagentur für Arbeit bereit: https://www.arbeitsagentur.de/ukraine.
Was ist für eine erfolgreiche Arbeitsmarktintegration zu beachten?
Allgemein ist der Zugang zu Betreuungseinrichtungen und Schulen für Kinder von Migrant*innen eine wesentliche Voraussetzung für die soziale- und die Arbeitsmarktintegration der Eltern, besonders der Mütter. So vereinfacht die Inanspruchnahme externer Kinderbetreuung die Teilnahme an Sprach- und Integrationskursen der Mütter, die im nächsten Schritt auch zu deren Teilnahme an Aus- oder Weiterbildungen beiträgt. Bei Geflüchteten kommen psychische Belastungen durch Kriegserlebnisse für Kinder und Eltern hinzu, die teils erst bewältigt werden müssen, bevor an Erwerbstätigkeit zu denken ist. Hierzu hat die Ministerpräsident*innenkonferenz vom 17. März 2022 beschlossen, dass der Bund die Programme und Angebote anpasst, die sich mit Spracherwerb, Aufnahme von Erwerbsarbeit, Kinderbetreuung und Beratung von Geflüchteten und ihren Familien beschäftigen. Die bestehenden Angebote sind inzwischen auf einem zentralen Hilfeportal „Germany 4 Ukraine“ zusammenfasst – auch in ukrainischer und russischer Sprache.
Aufgrund der guten Qualifikation der ukrainischen Geflüchteten ist die Anerkennung der im Herkunftsland erreichten beruflichen und akademischen Abschlüsse von zentraler Bedeutung. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass anerkannte Abschlüsse die Erwerbstätigkeit und die Verdienste von Migrant*innen auf lange Sicht erhöhen. Gleichzeitig wird aber die Anerkennungsmöglichkeit wegen der vielschichtigen Hindernisse im Verfahren nicht im vollen Umfang wahrgenommen. Hierzu hat die Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 7. April 2022 beschlossen:
Um eine zügige Vermittlung in Arbeitsplätze zu ermöglichen, die den Qualifikationen der Arbeitssuchenden entsprechen, soll – wie zwischen Bundesregierung und den maßgeblichen Dachverbänden der Wirtschaft verständigt – bei nicht-reglementierten Berufen eine Selbsteinschätzung der Geflüchteten aus der Ukraine zu ihren beruflichen Qualifikationen ausreichen. Bei reglementierten Berufen werden sich Bund und Länder für eine schnelle und einheitliche Anerkennung von ukrainischen Berufs- und Bildungsabschlüssen einsetzen. Durch ein einheitliches Vorgehen werden divergierende Einschätzungen – auch im Falle mehrfacher Antragstellung bei Wohnortwechsel – vermieden. Soweit europäische Vorgaben bestehen, setzt sich die Bundesregierung bei der Europäischen Kommission für rasche Lösungen ein.
Informationen zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse sowie Kontakte zur Beratung bietet das mehrsprachige Portal „Anerkennung in Deutschland“. Auch mit Informationen auf Ukrainisch.
Abzuwarten bleibt, ob bei nicht-reglementierten Berufen eine formelle Anerkennung beziehungsweise Gleichwertigkeitsfeststellung auf Selbsteinschätzungsbasis erfolgen kann, sodass beispielsweise Qualifikationsanalysen bei fehlenden Dokumenten entbehrlich würden. Die begleitende Pressekommunikation zum Beschluss deutet eher darauf hin, dass lediglich bei der Vermittlung in nicht-reglementierte Berufe sowie der Bewerber*innenauswahl der Unternehmen auf eine Selbsteinschätzung der Geflüchteten abgestellt werden soll. Dies würde zwar den unmittelbaren Arbeitsmarktzugang erleichtern, langfristig aber kann eine formelle Bestätigung für die Arbeitsmarktchancen bedeutsam bleiben.
Aufgrund des Fachkräftebedarfs auf dem deutschen Arbeitsmarkt haben Geflüchtete aus der Ukraine gute Chancen, einen Arbeitsplatz zu finden. Allerdings ist hierbei die Qualität der Arbeitsangebote kritisch zu prüfen. Um langfristige Integrationsmöglichkeiten zu sichern, muss Planungssicherheit geschaffen werden. Ein befristeter Aufenthalt sowie lange Asylverfahren verringern die Chancen beträchtlich. Angebote für kurzzeitigere Beschäftigungsverhältnisse kommen derzeit aus Branchen, die infolge niedriger Arbeitsentgelte, schlechter Arbeitsbedingungen und des Stellenabbaus in der Pandemie nach Arbeitskräften suchen. Allerdings dürfte es sich für viele Geflüchtete dabei nicht um qualifikationsgerechte Beschäftigung handeln.
Welche politischen Schritte sind jetzt nötig?
Wer aus der Ukraine nach Deutschland geflohen ist, muss möglichst unkompliziert und schnell in den Arbeitsmarkt integriert werden. Der DGB fordert dazu:
Frauen, die den ganz überwiegenden Teil der volljährigen Geflüchteten stellen, müssen besonders gefördert werden.
Die Bundesregierung muss wie angekündigt den Zugang zu Sprachkursen gewährleisten. Die Kurse des BAMF sollten dabei durch berufsbezogene Sprachkurse sowie durch Kurse ergänzt werden, die auf höhere Sprachniveaus (B2, C1) ausgerichtet sind, damit auch Höherqualifizierte die Voraussetzungen für eine Tätigkeit in Deutschland erhalten.
Die angekündigten, oben genannten Schritte zur zügigen und unkomplizierten Anerkennung beruflicher Abschlüsse und Qualifikationen sind zwar ein wichtiger Schritt nach vorn. Nötig sind jedoch umfassende und nachhaltige Lösungen für alle Geflüchteten, auch aus anderen Herkunftsstaaten, denn nach wie vor besteht eine zersplitterte Landschaft von Anerkennungsstellen, und teils lange Verfahrensdauern und Kostenrisiken zum Beispiel für die Qualifikationsanalyse für duale Ausbildungsberufe und Meisterinnen und Meister und für Ausgleichsmaßnahmen bei reglementierten Berufen stehen der Anerkennung oft im Weg.
Schwierigkeiten bereitet auch, dass geeignete Anpassungslehrgänge teils nicht verfügbar sind oder nicht berufsbegleitend absolviert werden können, sodass ein hoher Anreiz besteht, stattdessen eine Tätigkeit mit niedrigeren Qualifikationsanforderungen aufzunehmen. An diesen Hürden hapert es bislang bei Menschen aus Drittstaaten, die in Deutschland arbeiten wollen. Mit Blick auf die zunächst befristete Aufenthaltsperspektive ukrainischer Geflüchteter ist es aber besonders wichtig, Qualifikationen schnell anzuerkennen, weil Geflüchtete nur so in passende Beschäftigung vermittelt werden können.
Geflüchtete dürfen nicht mangels Alternativen in prekärer Beschäftigung landen und dort die Versäumnisse in der Arbeitsmarktpolitik der vergangenen Jahre ausgleichen. Denn Lücken gibt es vor allem dort, wo die Löhne niedrig und die Arbeitsbedingungen schlecht sind, beispielsweise in der Pflege, der Gastronomie, der Fleischwirtschaft und der landwirtschaftlichen Saisonbeschäftigung. Bereits jetzt zeigen sich in diesen Bereichen Aktivitäten von Unternehmen, um Geflüchtete aus der Ukraine als schnell verfügbare Arbeitskräfte zu gewinnen. Die Bedingungen müssen sich also für alle Beschäftigten verbessern, gleich ob sie bereits in Deutschland leben, zu Arbeitszwecken einwandern oder auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung ins Land kommen, was eine bessere Regulierung und verstärkte Rechtsdurchsetzung im Bereich prekärer Beschäftigungsformen erfordert.
Außerdem sollten Spracherwerb, Anerkennung von Qualifikationen und Qualifizierungsmaßnahmen in der Beratungs- und Vermittlungspraxis Vorrang vor schneller Vermittlung in Arbeit haben. Dazu müssen Geflüchtete Angebote für Bildung und Weiterbildung erhalten. Kinder und Jugendliche, die teils auch ohne Begleitung nach Deutschland fliehen, müssen zeitnah in Kitas und Schulen zu integriert und gezielt gefördert werden. Die hierzu bereits unternommenen Schritte sind zu begrüßen, insbesondere auch die geplante Unterstützung des Bundes für die Länder.
Weitere Informationen der IAB: