Nach dem Scheitern der Ampel-Koalition ist es Zeit für eine Reform der Finanzpolitik, die die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft sicherstellt. Neben einer Reform der deutschen Schuldenbremse gehört dazu eine Maßnahme, die bislang viel zu wenig in der Öffentlichkeit diskutiert wird: Die Ausweitung der gemeinschaftlichen europäischen Kreditaufnahme zur Finanzierung von Zukunftsinvestitionen.
Seit den 70er Jahren begibt die EU Anleihen und hat damit unterschiedliche Projekte finanziert. Dazu gehören finanzielle Hilfen für Drittstaaten (einschließlich der Ukraine) genauso wie das EU-Kurzarbeiterprogramm SURE. Während der Corona-Krise wurde die Emission gemeinschaftlicher Anleihen im großen Stil weiterentwickelt. Die Erlöse flossen in den EU-Wiederaufbaufonds, der mit 750 Milliarden Euro befüllt wurde. Dieser Fonds hat einige Stärken, aber auch deutliche Schwächen; eine Weiterführung wäre nicht zu empfehlen. Aber: Die Finanzierungsgrundlage dieses Fonds ist innovativ und sollte für Investitionen in den sozial-ökologischen Umbau der europäischen Volkswirtschaften genutzt werden.
Die Ausweitung der europäischen Kreditaufnahme macht ökonomisch Sinn und ist rechtlich möglich. Eine neue Studie von Professor Armin Steinbach, die vom Deutschen Gewerkschaftsbund in Auftrag gegeben wurde, zeigt, dass das Unionsrecht einer erweiterten europäischen Kreditaufnahme nicht entgegensteht. Weder das Prinzip der Haushaltsneutralität noch die Nichtbeistandsklausel, die in den EU-Verträgen verankert sind, stellen unüberwindbare Hürden dar. Das Gleiche gilt für das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimatransformationsfonds.
Anders als für die EU-Mitgliedsländer gilt für die EU selbst keine Schuldenbremse. Die EU könnte Anleihen begeben und die Erlöse als Zuschüsse oder Darlehen an die Mitgliedstaaten weitergeben. Voraussetzung ist, dass es sich um eine zeitlich begrenzte Maßnahme handelt und dass neue sogenannte EU-Eigenmittel eingeführt werden, um Zins und Tilgung der bisherigen und künftigen EU-Anleihen zu bedienen.
Es gibt viele Investitionsprojekte, die im strategischen europäischen Interesse liegen und bei denen die EU den Mitgliedstaaten deshalb finanziell unter die Arme greifen sollte: Investitionen in die grenzüberschreitende Infrastruktur, Investitionen in die Energienetze, öffentliche Investitionshilfen zur Modernisierung und Dekarbonisierung wichtiger Industriestandorte und Investitionen in Weiterbildung und Qualifizierung. Wir haben dafür zusammen mit anderen Verbündeten ein Konzept für einen EU-Zukunftsfonds ausgearbeitet.
Zur Umsetzung ist es wichtig, dass sich in Deutschland die öffentliche Diskussion rund um das Thema EU-Finanzen grundlegend ändert. Als Nettozahler hat die deutsche Politik bislang wenig Appetit gezeigt, den EU-Haushalt zu vergrößern. Von einer europäischen Investitionsagenda profitiert Deutschland aber mindestens zweimal. Zum einen, weil durch mehr Investitionen die Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz des Binnenmarktes gestärkt wird und dadurch Wachstumsimpulse gesetzt werden. Zum anderen entlasten wir nationale Haushalte, wenn wir wichtige Industrieprojekte, die grenzüberschreitende Infrastruktur etc. vermehrt europäisch finanzieren. Kurzum: Wir brauchen auch eine schuldenfinanzierte europäische Investitionsoffensive, um unsere eigene Wirtschaft – zusammen mit unseren europäischen Partnern – fit für die Zukunft zu machen.