Unternehmer und ihre Verbände nutzen den Wahlkampf, um die kommende Bundesregierung zu einem Angriff auf soziale Errungenschaften zu ermuntern. So forderte zuletzt Oliver Bäte, Boss des Allianz-Versicherungskonzerns, dass die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nicht mehr ab dem ersten Tag gelten solle. Die Ökonomin Veronika Grimm, Mitglied für die Kapitalseite im Aufsichtsrat von Siemens Energy und eine der "Wirtschaftsweisen" der Bundesregierung, verlangte "umfassende Anpassungen bei den Lohnnebenkosten" um die Arbeitskosten zu senken. Namentlich zielte sie dabei auf die Arbeitslosen- und die Rentenversicherung. Und die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UBB) drängen auf weniger gesetzliche Feiertage und würden dafür den Pfingstmontag als Feiertag streichen!
Bezahlte Feiertage und Lohnnebenkosten, die vor allem aus den Arbeitgeberbeiträgen zu den Sozialversicherungen bestehen, sind aus Kapitalsicht besonders ärgerlich, weil ihnen nicht unmittelbar eine geleistete Arbeit gegenübersteht und sie den Profit schmälern. Dabei blenden die Unternehmer aus, dass die aufgewendeten Mittel für die Lohnnebenkosten letztlich von den Beschäftigten selbst erwirtschaftet werden und zum Erhalt und zur Reproduktion der Arbeitskraft beitragen.
Lohnnebenkosten sind ein Teil dessen, was für die Unternehmen "Arbeitskosten", für die Beschäftigten aber Einkommen sind: Sie dienen gemeinsam mit den Beiträgen der Beschäftigten zur Sozialversicherung in erster Linie der Absicherung von Lebensrisiken. Eine Senkung läuft schnell auf niedrigere Renten, Kürzungen von Kranken-, Arbeitslosen-, Kurzarbeitergeld etc. hinaus. Wer Kürzungen vermeiden will und es sich leisten kann, müsste mehr Geld vom eigenen Netto abzweigen und sich zusätzlich privat versichern (beispielsweise beim Allianz-Konzern des Herrn Bäte). Dieses Geld stünde dann für andere Ausgaben nicht mehr zur Verfügung und die Kaufkraft der Beschäftigten sinkt. Dass das die Nachfrage drückt und die Wirtschaftskrise weiter verschärfen würde, bedenken einzelwirtschaftlich orientierte Unternehmer nur ungern.
Ihren Angriff rechtfertigt die Unternehmerlobby damit, dass die deutsche Wirtschaft bei den Arbeitskosten "wettbewerbsfähig" bleiben müsse. Zuletzt nahm Deutschland bei der Höhe der Arbeitskosten den 5. Platz hinter Luxemburg, Dänemark, Belgien und Frankreich ein. Im verarbeitenden Gewerbe liegen nur Dänemark, Belgien und Österreich vor Deutschland.
Überdurchschnittlich hohe nominale Arbeitskosten, also Bruttoverdienste plus Lohnnebenkosten, sind zunächst aber eine gute Nachricht – bedeuten sie doch höhere Einkommen für die Beschäftigten. Über die die Wettbewerbsfähigkeit – also die Frage, ob deutsche Waren und Dienstleistungen im Ausland "zu teuer" sind – sagt ein Blick auf die reinen Arbeitskosten nichts aus. Dazu braucht es auch eine Betrachtung der Produktivität – der Frage, wie viel in einer Arbeitsstunde produziert werden kann. Die so genannten Lohnstückkosten, die die Produktivitätsentwicklung berücksichtigen, sind in Deutschland seit der Jahrtausendwende aber deutlich langsamer gestiegen als in anderen Ländern. Und schon damals waren deutsche Produkte wettbewerbsfähig – im Jahr 2000 hielten sich deutsche Ex- und Importe ungefähr die Waage - seitdem exportiert Deutschland jedes Jahr weit mehr, als es importiert.
Druck auf Löhne und Sozialstandards löst die Probleme der deutschen Wirtschaft nicht sondern drückt die Kaufkraft. Das Gegenteil wäre nötig.