In Deutschland werden zunehmend Fachkräfte gesucht. Der DGB-Index Gute Arbeit hat 7000 Beschäftigte zur Lage in ihrem Betrieb befragt. In vielen Bereichen sind die Ursachen für Personalengpässe hausgemacht, so das Ergebnis. Wir erklären, was Arbeitgeber und Politik nun tun müssen, um mehr Menschen in Arbeit zu bringen. Und warum davon auch die kriselnde Wirtschaft profitieren würde.
Vitamin B kann bei der Karriereplanung bekanntlich hilfreich sein. Auch Arbeitgeber profitieren, wenn ihre Mitarbeiter*innen Werbung für ihren Betrieb machen, um neue Fachkräfte zu gewinnen. Ob Beschäftigte im Freundeskreis oder der Familie die Werbetrommel für ihren Betrieb rühren, hängt stark mit den Arbeitsbedingungen dort zusammen. 76 Prozent von Beschäftigten in Betrieben mit schlechter Bezahlung, Stress und Überstunden geben an, ihren Arbeitgeber nicht weiterzuempfehlen. Warum auch?
Fachkräftemangel: Pflege, Erziehung, Bildung
Dabei könnten viele Unternehmen eine Vitaminspritze gut vertragen, wie der DGB-Index Gute Arbeit zeigt. Denn 46 Prozent der Beschäftigten arbeiten in Bereichen mit starkem Fachkräftemangel. Besonders betroffen sind Engpassberufe wie in der Pflege, in Erziehung und Sozialarbeit sowie im Bildungswesen. In vielen Fällen ist der Personalmangel Dauerzustand: 64 Prozent der betroffenen Arbeitnehmer*innen arbeiten seit über einem Jahr in unterbesetzten Teams. Die Situation zwingt viele Beschäftigte dazu, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen, Überstunden zu leisten und unter starkem Zeitdruck zu arbeiten. Für viele wird die Belastung so groß, dass sie ihre Arbeitszeit reduzieren oder die Branche wechseln, was eine Abwärtsspirale verstärkt: Mit jeder Fachkraft, die kündigt, verschärft sich der Personalmangel weiter.
Grafik: Arbeitsfähigkeit bis zur Rente in ausgewählten Engpassberufen
Frage: Meinen Sie, dass Sie unter den derzeitigen Anforderungen Ihre jetzige Tätigkeit bis
zum gesetzlichen Rentenalter ohne Einschränkung ausüben können?
Impuls für die Wirtschaft: Aufstockung von Teilzeit
Um die Fachkräftelücken zu schließen, muss Deutschland Potenziale aktivieren, die bisher nicht im Fokus standen. Damit kann auch der lahmenden Wirtschaft geholfen werden.
Einen enormen Impuls gäbe es, wenn Teilzeitbeschäftigte ihre Arbeitszeit aufstocken würden: Etwa ein Drittel aller Arbeitnehmer*innen in Deutschland arbeitet in Teilzeit – überwiegend sind es Frauen. Der DGB-Index Gute Arbeit zeigt: Mehr als die Hälfte (53 Prozent) der Teilzeitbeschäftigten arbeitet aufgrund von Sorgeverpflichtungen wie Kinderbetreuung oder pflegebedürftigen Angehörigen mit verkürzten Arbeitszeiten. Und 39 Prozent nennen als Grund für die Teilzeitarbeit die zu hohe Belastung bei ihrer Tätigkeit.
Grafik: Weiterempfehlung des Arbeitgebers
Frage: Würden Sie ihren Arbeitgeber einem Freund oder einer Freundin weiterempfehlen?
Grafik: Berufe mit über- und unterdurchschnittlichen Personalmangel
Ausgewählte Berufe mit über- und unterdurchschnittlichen Anteilen an Personalmangel in hohem/sehr hohem Maß
Frauen den Weg aus der Teilzeit ermöglichen
Die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi ist sich sicher: “Wer Fachkräfte sucht, kann auf Frauen nicht verzichten. Doch die Hürden für Frauen in der Arbeitswelt sind nach wie vor hoch. Es ist höchste Zeit, diese Hindernisse aus dem Weg zu räumen.” Entscheidend seien gleiche Löhne für gleiche Arbeit, deutlich mehr Investitionen in Kitas und Ganztagsschulen und eine gerechtere Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit in den Familien. “Das trägt zur Fachkräftesicherung bei und es ermöglicht Frauen, wirtschaftlich auf eigenen Beinen zu stehen”, so Fahimi. Zwei Drittel der Befragten berichten, dass sie keine Angebote zur Entlastung für familiäre Verpflichtungen vom Chef erhalten. Hier ist viel Luft nach oben.
Weiterbildung geht häufig am Bedarf vorbei
Zudem muss es gelingen, mehr Menschen weiterzubilden und sie so für neue Aufgaben fit zu machen. Zwar stehen betriebliche Weiterbildungsmaßnahmen einer Mehrheit der Beschäftigten zur Verfügung, allerdings sind diese Angebote überwiegend von kurzer Dauer. Und: Sie werden häufig nicht in Anspruch genommen, weil sie an Bedarfen vorbeigehen oder weil die Arbeitssituation es nicht zulässt: zu wenig Zeit, fehlende Vertretung. Die Ergebnisse des DGB-Index zeigen: Je länger eine Weiterbildung dauert, desto besser wird sie von den Beschäftigten bewertet.
Politik und Arbeitgeber sind auch gefordert, wenn es um eine Reform der Erzieher*innen-Ausbildung geht. Sylvia Bühler, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand, fordert: “Die Reform der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern muss endlich angepackt werden. Dass hier mitunter noch Schulgeld fällig und keine Ausbildungsvergütung gezahlt wird, ist völlig aus der Zeit gefallen. Politik und Arbeitgeber sind in der Pflicht, die Arbeitsbedingungen deutlich zu verbessern.” Um die Berufe attraktiver zu machen und den Teufelskreis aus Fachkräftemangel und Überlastung in den Gesundheits- und Sozialberufen zu durchbrechen, brauche es zudem bedarfsgerechte und verbindliche Personalausstattungen.
Download Report Fachkräftesicherung
DGB Index Gute Arbeit 2024: Report Fachkräftesicherung (PDF)
DGB Index Gute Arbeit 2024: Report Fachkräftesicherung. Anhang Abbildungen und Tabellen (PDF)