Deutsche Einheit: Ungleich vereint?

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Dachzeile klartext Nr. 29/2024

Alle Jahre wieder veröffentlicht die Bundesregierung ihren Bericht zum Stand der deutschen Einheit. Und noch immer – auch 35 Jahre nach dem Mauerfall – bestehen wesentliche Unterschiede zwischen Ost und West: Die Lebenserwartung ist in Ostdeutschland noch geringer, die vermögenden Menschen kommen vor allem aus Westdeutschland und die ostdeutsche Repräsentanz in Spitzenpositionen von Wirtschaft und Politik ist überschaubar.

Traurige Realität ist auch, dass noch immer eine Lohnlücke zwischen Ost und West besteht. Der gewerkschaftliche Grundsatz "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" wird nach wie vor nicht erfüllt. Ein dem zugrunde liegendes Problem ist die niedrige Tarifbindung, die zwar in ganz Deutschland vorherrscht, in den ostdeutschen Bundesländern aber besonders ausgeprägt ist: Dort profitieren nur rund 44 Prozent der Beschäftigten von einem Tarifvertrag, während es in Westdeutschland noch 51 Prozent sind.

Aber es sind auch Erfolge zu verzeichnen: Die Renten wurden endlich angeglichen, in den letzten Jahren sind wichtige Ansiedlungen von Industriearbeitsplätzen gelungen und auch die ostdeutsche Gewerkschaftsbewegung hat durch einen ordentlichen Mitgliederzuwachs und erfolgreiche Arbeitskämpfe mit starken Tarifabschlüssen ein neues Selbstbewusstsein.

Allerdings darf der Ost-West-Fokus, der alljährig zum Tag der deutschen Einheit bemüht wird, nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir es oft mit gesamtdeutschen Herausforderungen zu tun haben. Die zunehmende Polarisierung zwischen Stadt und Land, die sinkende Tarifbindung, der marode Zustand der öffentlichen Infrastruktur oder die Gestaltung des regionalen Strukturwandels im Zuge des Kohleausstiegs oder der Industrietransformation sind in Ost- wie in Westdeutschland präsent. Nicht zu Unrecht gilt die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse als Ziel für das gesamte Bundesgebiet. Wirft man beispielsweise einen Blick auf den Ausbau der Windenergie sind die Herausforderungen zwischen Nord und Süd größer als zwischen Ost und West.

Was vor dem Hintergrund bevorstehender Transformationsprozesse aber nicht vergessen werden darf, sind die vergangenen Verlusterfahrungen vieler ostdeutscher Bürger*innen im Zuge des Niedergangs der ostdeutschen Wirtschaft und die Abwertung von Lebensstilen nach der Wiedervereinigung. Der Soziologe Steffan Mau spricht hier von "gesellschaftlichen Frakturen", die bis heute nachwirken.

Solche Strukturbrüche müssen in Zukunft verhindert werden, auch um die gesellschaftliche Akzeptanz für den Umbau der Wirtschaft sicherzustellen. Wir machen uns deshalb für eine proaktive und beteiligungsorientierte Strukturpolitik stark und plädieren für eine Weiterentwicklung der bestehenden regionalpolitischen Förderinstrumente. Politik darf nicht erst handeln, wenn Wertschöpfung und Beschäftigung abgebaut wurde, sondern muss frühzeitig den Umbau regionaler Wirtschaftsstrukturen begleiten. 

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