Die EU-Kommission ist in den vergangenen Wochen industriepolitisch aktiv geworden. Mit ihrem „Green Deal Industrieplan“ und mehreren darauf aufbauenden Gesetzentwürfen hat sie die Initiative ergriffen. Damit reagiert sie insbesondere auch auf den US-amerikanischen „Inflation Reduction Act“ (IRA) der im vergangenen Jahr beschlossen wurde.
Mit dem IRA wurde in den USA ein großes Subventionsprogramm für die Transformation auf den Weg gebracht: Mit Steuergutschriften sollen Investitionen in die Energiewende und klimaneutrale Industrieproduktion mit insgesamt 400 Mrd. Dollar über zehn Jahre subventioniert werden. An vielen Stellen ist die Subventionierung an die Bedingung gekoppelt, dass Produkte in den USA gefertigt werden (Local Content-Regeln). Außerdem erlaubt der IRA oft nur dann eine Subvention, wenn Unternehmen mindestens marktübliche Löhne zahlen und eine Mindestanzahl an Auszubildenden beschäftigt. Das Ziel, „Union Jobs“ (gewerkschaftlich organisierte Stellen) zu schaffen, wird ausdrücklich formuliert. Durch Subvention und Local Content-Regeln setzt der IRA international mobilen Unternehmen starke Anreize, die Produktion in die USA zu verlagern.
In der EU löste dies eine Diskussion darüber aus, wie es gelingen kann, die Abwanderung von Unternehmen in die USA zu verhindern. Am 1. Februar 2023 legte die EU-Kommission mit ihrem „Green Deal Industrieplan“ eine europäische Antwort auf den IRA vor. Auch für mehrere darin angekündigte Gesetze wurden inzwischen von der Kommission Entwürfe veröffentlicht.
In dem „Net Zero Industrie Act“ wird für das Jahr 2030 das Ziel formuliert, dass 40 Prozent des Bedarfs der EU an Technologiegütern, die zur Erreichung der Klimaziele erforderlich sind, auch in der EU produziert werden. Im Entwurf für den „Critical Raw Materials Act“ werden für 16 „strategische Rohstoffe“ für das Jahr 2030 Ziele für den Grad der Selbstversorgung der EU definiert. Demnach soll vom Gesamtbedarf der EU mindestens 10 Prozent dieser Rohstoffe in der EU abgebaut, 40 Prozent verarbeitet und 15 Prozent recycelt werden. Um die Abhängigkeit von einzelnen Drittstaaten zu senken, sollen von keinem der aufgeführten Rohstoffe mehr als 65 Prozent aus nur einem anderen Land importiert werden. Für Kennziffern, die früher selbstverständlich als legitime Ergebnisse der Märkte angesehen wurden, will die EU jetzt also politische Zielwerte aufstellen. Damit bekennt sich die EU-Kommission zu einer – die Transformation aktiv gestaltenden – Industriepolitik.
Um diese Ziele zu erreichen, setzt die Kommission auf schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren für klimafreundliche Investitionsprojekte. Die Mitgliedstaaten sollen durch Lockerung des Beihilferechts mehr Möglichkeiten zur Subventionierung von klimafreundlichen Technologien erhalten. Im Sommer 2023 will die Kommission die Einrichtung eines neuen und möglicherweise kreditfinanzierten „Souveränitätsfonds“ vorschlagen. Damit würden auch auf europäischer Ebene mehr Mittel für die Transformation bereitgestellt werden. Mit der Schaffung von „Netto-Null-Akademien“ sollen Beschäftigte besser für die klimaneutrale Wirtschaft qualifiziert werden. Das Netz an Freihandelsabkommen mit Drittstaaten soll ausgebaut werden, z. B. durch Fortschritte bei Abkommen mit Australien, Indien, Indonesien, Chile, Mexiko oder dem Mercosur.
Eine aktive Industriepolitik ist notwendig, um die Transformation voranzubringen und zugleich zum Wohl der Gesellschaft und der Beschäftigten zu gestalten. Der neue aktive Ansatz der EU-Kommission geht deshalb in die richtige Richtung. Dabei erfordert aktive Industriepolitik vor allem den Einsatz zusätzlicher Mittel, um in die Transformation zu investieren. Dazu muss der Staat sich aber von den – in neoliberalen Zeiten – selbst auferlegten Fesseln befreien. Die Lockerung des Beihilferechts ist dazu ein wichtiger Schritt. Zusätzlich notwendig wäre die Korrektur der strengen Staatsschuldenregeln der EU. Damit die Mitgliedstaaten nicht untereinander in einen Subventionswettlauf geraten, sollten Förderungen auf europäischer Ebene eine bedeutende Rolle spielen. Deshalb sollte die EU selbst mehr in die Transformation investieren. Dafür wird die Idee eines „Souveränitätsfonds“ diskutiert. Eine deutliche Aufstockung europäischer Budgets zur Förderung der Transformation würde aus dem Industrieplan ein wirkungsvolles Instrument des Wandels machen.
Wenn Unternehmen mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, dann kann die Gesellschaft dafür auch Mitsprache einfordern und Bedingungen setzen. Nur solche Investitionen sollten gefördert werden, in denen Standards Guter Arbeit gelten. Hier ist der amerikanische IRA ein gutes Vorbild. In vielen europäischen Ländern sind die Bedingungen dafür sogar besser als in den USA. Hier kann auf bewährte Strukturen wie die Tarifautonomie und Mitbestimmung zurückgegriffen werden. Entsprechend ist für alle Förderprogramme auf Ebene der Mitgliedstaaten und auf Ebene der EU eine Konditionierung an Erhalt von Standorten und an Kriterien Guter Arbeit (z.B. Tarifbindung, Mitbestimmung, Ausbildung) notwendig.
Mehr öffentliche Subventionen sind sinnvoll, um damit die Transformation voranzubringen. Dafür ist der IRA ein Vorbild. Schwierig ist es jedoch, wenn Subventionen gar keine zusätzlichen Investitionen in den grünen Wandel auslösen, sondern lediglich aus anderen Wirtschaftsräumen verlagern. Hier droht ein teurer Subventionswettlauf zwischen den großen Wirtschaftsblöcken, mit dem für die globale Transformation nichts gewonnen wird, bei dem sich aber die Subventionen für international mobile Konzerne immer weiter aufschaukeln. In ähnlicher Weise drohen Local Content-Regelungen zu einem unproduktiven gegenseitigen Abwerben von Investoren zu werden. Durch internationale Vereinbarungen sollte dafür gesorgt werden, dass in allen Wirtschaftsräumen (EU, USA, China usw.) die Höhe der Subventionen hoch genug ist, um zusätzliche klimafreundliche Investitionen auszulösen, aber nicht darüber hinaus die gegenseitige Abwerbung von Investoren fördert.