Das Recht auf Leben und Gesundheit endet nicht am Arbeitsplatz!

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Die Covid-19 Pandemie hat gezeigt, wie zentral und universell Arbeits- und Gesundheitsschutz in der Arbeitswelt ist. Immer dort, wo sich Beschäftigte sich dazu gezwungen sehen, zwischen ihrem Erwerbseinkommen und einem hohen Risiko für Leib und Leben entscheiden müssen, läuft etwas grundlegend falsch. Denn das Recht auf Leben und Gesundheit ist ein Menschenrecht und endet nicht am Werkstor, der Supermarktkasse oder dem Eingang des Krankenhauses oder der Pflegeeinrichtung. Die ILO beschäftigt sich aber nicht erst seit der Pandemie mit Gesundheitsprävention und Sicherheit am Arbeitsplatz. Bereit bei ihrer Entstehung 1919 wurde in der Verfassung als eines der Ziele der Organisation ein „angemessener Schutz für das Leben und die Gesundheit der Arbeitnehmer*innen bei allen Beschäftigungen“ festgeschrieben.

Dennoch schätzt die ILO die jährliche Anzahl derer, die weltweit durch Arbeitsunfälle oder arbeitsbedingte Krankheiten zu Tode kommen, auf rund 2,8 Millionen. Das bedeutet täglich den Tod von rund 7.500 Beschäftigten weltweit. Zudem verletzen sich bzw. erkranken 374 Millionen Menschen jährlich im Arbeitskontext. Viele dieser Vor- und Unfälle wären durch einfache Sicherheits- und Präventionsmaßnahmen bzw. Schutzausrüstung vermeidbar. 

Beschluss der ILO-Konferenz: Arbeits- und Gesundheitsschutz ist Menschenrecht  

Um daran etwas zu ändern, wurde im Juni 2022 die Änderung der Erklärung über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit von 1998 beschlossen. Diese Erklärung enthielt bislang vier Grundprinzipien und Rechte bei der Arbeit: die Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen, die Beseitigung der Zwangsarbeit, die Abschaffung der Kinderarbeit sowie das Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf. Neu hinzu kommt nun „ein sicheres und gesundes Arbeitsumfeld“. Jedem dieser Grundprinzipien sind zwei Übereinkommen als sogenannte Kernarbeitsnormen zugeordnet, die diese in ihrer rechtlichen Bedeutung konkretisieren.

Die Kernarbeitsnormen gelten als universell und für jedes Mitgliedsland der ILO verpflichtend, unabhängig davon, ob sie von diesem ratifiziert wurden oder nicht. Diese Universalität ergibt sich aus der Verfassung der ILO, die alle fünf Grundprinzipien widerspiegelt und für jedes Mitglied verbindlich ist. Die Kernarbeitsnormen haben völkerrechtlich betrachtet Menschenrechtsrang.

Zu den vorher acht Kernarbeitsnormen und einem Zusatzprotokoll kommen nun das Übereinkommen 155 über Arbeitsschutz und Arbeitsumwelt und Übereinkommen 187 über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz hinzu. Während sich viele andere auf Arbeits- und Gesundheitsschutz bezogene ILO Übereinkommen auf spezifische Stoffe oder Sektoren beziehen, haben die Übereinkommen 187 und 155 gemeinsam, dass sie auf ein gesamtstaatliches System abzielen. Dennoch gibt es auch Unterschiede. Übereinkommen 187 beschreibt einen Förderungsrahmen und bleibt entsprechend vage, was die konkreten Inhalte dieses Rahmens betrifft. Übereinkommen 155 hingegen geht auf spezifische Komponenten ein, wie beispielsweise die „Zusammenhänge zwischen den materiellen Komponenten der Arbeit und den Personen, die die Arbeit ausführen oder überwachen, und Anpassung der Maschinen, der Ausrüstungen, der Arbeitszeit, der Arbeitsorganisation und der Arbeitsverfahren an die körperlichen und geistigen Fähigkeiten der Arbeitnehmer*innen“. Auch die Maßnahmen und das Zusammenspiel zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen auf betrieblicher Ebene wird konkret definiert. Der wohl wesentlichste Teil des Übereinkommens ist, dass er Arbeitnehmer*innen das Recht einräumt, eine Tätigkeit zu verweigern, die eine „unmittelbare und ernste Gefahr für Leben oder Gesundheit“ beinhaltet, insofern der Arbeitgeber darüber in Kenntnis gesetzt wurde und keine Abhilfe leistet.

Nicht zuletzt diese Unterschiede zwischen den beiden Übereinkommen bewog die Arbeitgeberbank dazu, sich bei der Diskussion lediglich für das Übereinkommen 187 als weitere Kernarbeitsnorm auszusprechen. Dieser Teil der Verhandlung – die Auswahl der zugehörigen Übereinkommen - war sicher der wichtigste und schwierigste. Obgleich einige Mitgliedsstaaten, wie Bangladesch, Indien, Brasilien und Japan diese Position unterstützten, wurde schnell deutlich, dass für die Mehrheit – unter anderem die EU und die afrikanischen Regierungen – hier eine rote Linie war. Für sie kamen nur beide Übereinkommen gemeinsam in Frage.

Die Bedeutung der Kernarbeitsnormen im globalen Gefüge

Seit ihrer Entstehung 1998 haben die Kernarbeitsnormen als grundlegendes Konzept internationaler Arbeits- und Gewerkschaftsrechte an Bedeutung gewonnen. Es nehmen nicht nur internationale Organisationen, wie die Weltbank und die UN darauf Bezug. Sie fanden zunehmend Eingang in die Nachhaltigkeitskapitel internationaler Handels- und Investitionsabkommen. Laut ILO hat sich die Anzahl der Handelsabkommen, die Arbeitsrechtsbestimmungen enthalten, seit 1998 von 9 auf heute 113 erhöht.  

Die Nachhaltigkeitskapitel in Handelsverträgen sind zwar verbindlich, ein Verstoß wurde bisher aber kaum mit dem Aussetzen des Handelsabkommens sanktioniert. Dies erwägt die EU-Kommission im Rahmen einer Überarbeitung der europäischen Handelspolitik zu ändern, was den ökonomischen Druck zur Einhaltung der Kernarbeitsnormen erhöhen könnte. Denn das Überwachungssystem der ILO hat nur sehr begrenzte Hebel, um Verstöße zu ahnden.

Der nächste Schritt – eine Ratifizierungs-Offensive

Bislang gibt es nur 18 Staaten, die alle 10 Kernarbeitsnormen plus Zusatzprotokoll ratifiziert haben und nur eine Kernarbeitsnorm wurde von allen 187 Mitgliedsstaaten der ILO ratifiziert – Übereinkommen 182 über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit.

Was die beiden neuen Kernarbeitsnormen 187 und 155 anbelangt, wurden diese erst von 58 bzw. 75 Staaten ratifiziert. Auch Länder wie Deutschland, Österreich und Frankreich haben Übereinkommen 155 noch nicht ratifiziert. Es ist aber zu hoffen, dass die Anzahl der Ratifikationen in naher Zukunft ansteigt und Arbeits- und Gesundheitsschutz damit international an Bedeutung gewinnen wird.

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