Eine neue Studie im Auftrag des DGB arbeitet jetzt heraus, wie die Bundesländer die Schuldenbremse in ihr jeweiliges Landesrecht umgesetzt haben und welche Spielräume für kreditfinanzierte Investitionen danach noch bestehen. Auch der Umgang mit der Corona-bedingten Notlagenverschuldung ist von Land zu Land unterschiedlich, sodass sich insgesamt zeigt: Der finanzielle Spielraum wird in den kommenden Jahren von Bundesland zu Bundesland höchst unterschiedlich ausfallen. Manche Landesregierungen haben sowohl die Regeln zur Schuldenbremse, als auch diejenigen zur Rückzahlung der Corona-Schulden in ihrem jeweiligen Landesrecht unnötig eng gefasst. Andere Bundesländer haben Regeln gewählt, die ihnen mehr Spielraum lassen und den Konsolidierungsdruck abmildern.
Für den DGB ist klar: Die Schuldenbremse ist eine Investitions- und Zukunftsbremse. Sie gehört abgeschafft oder zumindest investitionsfreundlich reformiert. Die Bundesländer tun gut daran, eine Umsetzung zu wählen, die eine solche Reform erleichtert und den Verschuldungsspielraum gleichzeitig nicht zusätzlich einschränkt. Die vorliegende vergleichende Studie ermöglicht es allen Akteuren der Landespolitik, sich an Best-Practice-Beispielen aus anderen Bundesländern zu orientieren. Denn in zahlreichen Bundesländern erlaubt es die Schuldenbremse nach wie vor, kreditfinanzierte Investitionen über so genannte Extrahaushalte zu tätigen.
Solange eine Grundgesetzänderung zur Verbesserung der bestehenden Schuldenbremse nicht in Sicht ist, sollten Bund und Länder solche Möglichkeiten und andere Spielräume der Schuldenregeln großzügig nutzen. Schließlich können öffentliche Investitionen nicht länger warten. Es braucht eine groß angelegte öffentliche Investitionsoffensive von rund 45 Milliarden Euro jährlich in den kommenden zehn Jahren. Nur so lässt sich die wirtschaftliche Transformation angesichts von Klimawandel und Digitalisierung erfolgreich gestalten. Nur so schaffen wir zukunftsfähige Städte und Gemeinden.
Kurzzusammenfassung
Die Studie „Die grundgesetzliche Schuldenbremse und ihre Umsetzung durch Bund und Länder sowie die haushaltspolitische Umsetzung der Notlagenverschuldung in der Corona-Pandemie“ im Einzelnen:
Nach einem kurzen Einblick in die Schulden- und Fiskalregeln auf europäischer und Bundesebene beleuchtet die vom DGB in Auftrag gegebene Studie umfassend, wie die Umsetzung der Schuldenbremse auf Länderebene ausgestaltet wurde und ob trotz allem Spielräume für die Ausweitung der Investitionstätigkeit bestehen. Die Studie zeigt deutlich, wie unterschiedlich die Länder die Schuldenbremse verankert haben und welchen unnötigen Sparzwängen sich die Landesregierungen teilweise unterworfen haben. Es beginnt bereits damit, dass eine Mehrheit der Länder die Schuldenbremse in ihrer Verfassung verankert hat, obwohl dies nicht unbedingt notwendig war, wie die Länder Berlin, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und das Saarland zeigen. Letztere haben lediglich ihre Landeshaushaltsordnung überarbeitet bzw. neue Ausführungsgesetze erlassen und sich damit größere Spielräume ermöglicht, sollte ein politischer Kurswechsel, etwa eine Abschaffung der Schuldenbremse im Grundgesetz, umfassende Kreditaufnahmen wieder ermöglichen.
Doch auch im Falle der Verankerung in der Landesverfassung gibt es Länder, die eine eher schlankere Variante gewählt haben (u.a. Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern). Hier wurden wichtige Details zur Ausgestaltung der Schuldenbremse statt in den Landesverfassungen in den Landeshaushaltsordnungen geregelt, die wesentlich leichter abzuändern sind, sollte dies künftig nötig und möglich werden. Andere Länder wie Sachsen haben hingegen sogar Details, z.B. zum so genannten Konjunkturbereinigungsverfahren oder zu Ausnahmen auf Grund von Notlagen und Naturkatastrophen, auch auf Verfassungsebene geregelt. Das engt den Handlungsspielraum unnötig ein.
Die Studie zeigt, dass es trotz des Nullverschuldungsgebots vielfach Möglichkeiten gibt, kreditfinanzierte Investitionsmittel auf Länderebene zu generieren. Doch auch diese Möglichkeiten hängen davon ab, wie strikt die Schuldenbremse umgesetzt worden ist. Die Studie zeigt für jedes Bundesland auf, welche Möglichkeiten bestehen und welche Türen durch die Ausgestaltung der Regeln (zunächst) zugeschlagen wurden.
Eine mittlerweile breit diskutierte Möglichkeit, notwendige öffentliche Investitionen zu tätigen, ist dabei die Kreditaufnahme über Extrahaushalte oder sonstige Beteiligungen des Marktsektors. Länder, die die Vorgaben des Grundgesetzes nicht verschärfen (wie bspw. Berlin) können trotz Schuldenbremse über Mieter-Vermieter-Modelle im Rahmen einer Öffentlich-Öffentlichen Partnerschaft die Sanierung und den Bau neuer Schulen ermöglichen. Einige Bundesländer wie Bremen haben jedoch die Nullverschuldung sehr weitgehend auch auf Landesbeteiligungen ausgeweitet und so diese Möglichkeit der Finanzierung von Investitionen tendenziell verbaut.
Die Frage, ob finanzielle Transaktionen bei der Berechnung der erlaubten Kreditaufnahme zu berücksichtigen sind, kann ebenfalls dazu führen, dass Spielräume für die Länder eröffnet werden. Wenn eine Bereinigung der Ausgaben um finanzielle Transaktionen vorgesehen ist, dann wäre es z.B. trotz Schuldenbremse möglich, das Eigenkapital von landeseigenen Unternehmen, sei es eine GmbH oder eine Anstalt, über vom Land aufgenommene Kredite zu erhöhen. Gleichzeitig wäre es mit Blick auf die erlaubte Kreditaufnahme nicht hilfreich, Beteiligungen des Landes zu verkaufen, da die Einnahmen dieser finanziellen Transaktion den zulässigen Ausgabespielraum mindern. Ein Anreiz für Privatisierungsbestrebungen ist damit nicht gegeben. Ein Großteil der Länder sieht eine Bereinigung des zulässigen Defizits um finanzielle Transaktionen vor. Einige Länder wie z.B. Bayern, Sachsen und Nordrhein-Westfalen haben sich diesen Weg jedoch nicht offen gehalten. Diese Länder könnten jedoch einfach gesetzlich nachbessern.
Neben den Regelungen zu den Landesbeteiligungen und finanziellen Transaktionen treffen die Gesetze zur Umsetzung der Schuldenbremse auch Aussagen zum Konjunkturbereinigungsverfahren, das jedes Bundesland individuell wählen kann. Die Studie erklärt die verschiedenen Verfahren und zeigt ihre Vor- und Nachteile auf, vor allem mit Blick auf die Möglichkeiten einer problematischen prozyklischen Wirkung (Bsp. Sachsen) auf der einen bzw. vorteilhafteren, eher antizyklischen Wirkung (Bsp. Hamburg) auf der anderen Seite.
Ein Schwerpunkt der Studie liegt auf der Untersuchung, wie die Länder die Ausnahmen von der Schuldenbremse im Falle von Notlagen bzw. Naturkatastrophen angesichts der Corona-Pandemie genutzt haben. Auch hier zeigt sich, dass manche Länder die vorhandenen Spielräume nutzen, um nicht nur die direkten Folgen der Pandemie zu bekämpfen, sondern auch indirekte und langfristige Folgekosten mit Hilfe der Notlagenverschuldung schultern wollen. Andere Länder hingegen erlegen sich unnötig strenge Tilgungspläne auf und gefährden damit die konjunkturelle Erholung und wichtige Investitionen in die Zukunft. So ist es zum Beispiel möglich, die auf Grund der Corona-Pandemie erlaubten Kredite Rücklagen und Sondervermögen zuzuführen, um so auch in den kommenden Jahren auf sie zurückgreifen und flankierende Maßnahmen finanzieren zu können, ohne erneut eine Notlage feststellen zu müssen (Bsp. Brandenburg). Andere Länder hingegen wie z.B. Sachsen finanzieren die Kosten der Pandemie weitgehend über bestehende Rücklagen, anstatt umfangreiche Kredite aufzunehmen und Rücklagen zu stärken. Dies könnte in den nächsten Jahren, die nicht als „Notlage“ im Sinne der Schuldenbremse klassifiziert werden können, zu Problemen führen, weil diese Rücklagen dann verbraucht sind.
Gleichzeitig zeigt die Studie, dass es möglich ist, die Notlagenverschuldung voraussichtlich auch im Jahr 2023 noch in Anspruch zu nehmen, wenn dies hinreichend begründet wird. So werden die Steuereinnahmen weiterhin unter den Prognosen, die vor der Pandemie erstellt wurden, liegen. Um diese Mindereinnahmen aufzufangen, aber auch um die andauernden Folgekosten der Pandemie zu stemmen, ist es weiterhin zulässig, dass die öffentliche Hand im Übergangsjahr Notlagenkredite aufnimmt. Solche Kredite können z.B. auch dazu genutzt werden, die Lage der Kommunen zu entspannen und ihnen finanziell unter die Arme zu greifen (Bsp. Hessen).
Ein weiterer relevanter Hebel ist der Zeitraum, in dem die pandemiebedingten Schulden zurückgezahlt werden müssen. Auch hier haben die Länder weitestgehend freie Hand und auch hier weichen die gewählten Tilgungspläne teils sehr weit voneinander ab – von Nordrhein-Westfalen, das bis zu 50 Jahre anberaumt bis zu Sachsen-Anhalt, das die Schulden innerhalb von drei Jahren zurückzahlen will. Dass solch kurze Tilgungspläne für enormen Konsolidierungsdruck sorgen, zeigt das Beispiel Thüringen: Hier wurde ein Tilgungszeitraum von fünf Jahren festgeschrieben. Gleichzeitig wurde die Investitionsquote in der Finanzplanung bis 2024 bereits planmäßig abgesenkt. Für die Zukunftsfähigkeit der Infrastruktur und der öffentlichen Daseinsvorsorge ist das auf jeden Fall der falsche Weg und kann auch nicht als generationengerecht rechtfertigt werden.
Zusammengefasst analysiert die Studie detailliert die einzelnen Aspekte der Umsetzung der Schuldenbremse und geht umfassend auf die Reaktion der Länder auf die Corona-Pandemie ein. Sie bietet die Möglichkeit, sowohl Positiv- als auch Negativbeispiele für die Nutzung vorhandener Spielräume mit Blick auf eine gesteigerte Investitionstätigkeit der Länder zu finden. Und sie gibt Anregungen, wie die bestehenden Regelungen reformiert werden können, damit die Haushaltspolitik antizyklischer ausgerichtet und Zukunftsinvestitionen ermöglicht werden.
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Die grundgesetzliche_Schuldenbremse_und_ihre_Umsetzung_durch_Bund_und_Länder Download PDF