Ad-hoc-Digitalisierung, pandemiebedingt

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Die Werte des DGB-Index bestätigen zunächst, dass Corona in Verwaltungen, Schulen und vielen anderen Bereichen einen Digitalisierungsschub auslöste. Viele Dienststellen schafften neue digitale Arbeitsmittel an. Das betraf zum einen die Nutzung von Software und Apps: Fast zwei Drittel der Befragten aus dem öffentlichen Dienst hatten in der Pandemiezeit am Arbeitsplatz mit neuen Programmen zu tun (62 Prozent, vgl. Abb. 1). Bei Lehrkräften waren es sogar 92 Prozent. Neue Hardware wurde bei über einem Drittel der Befragten eingesetzt (38 Prozent). In der Privatwirtschaft lagen die Werte bei Hard- und Software deutlich niedriger.

Neue Laptops in Hamburg-Nord
Fast 90 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Dienst waren der Auffassung, dass die neue Software aufgrund der aktuellen Ausnahmesituation eingeführt wurde. Die Corona-Pandemie war demnach ein starker Treiber der Digitalisierung. Diese Beobachtung machte auch Stefan Wiarda. Seit 2002 ist er freigestellter Personalrat am Bezirksamt Hamburg Nord und vertritt die Interessen der über 1.000 Kolleg:innen in über 60 Berufsgruppen. „Was die Hardware angeht, gab es bei uns einen riesigen Schub. Unsere Leitung hat schnell reagiert und dafür gesorgt, dass mittlerweile alle Kolleg:innen mit Notebooks ausgestattet sind. Technisch gesehen können alle im Homeoffice arbeiten“, erklärt der ver.di-Personalrat. Die Kolleg:innen seien allerdings auch Kompromisse eingegangen. Einige hätten tageweise ihren Monitor mit nach Hause genommen, weil für viele Fachverfahren wie PROSOZ der Notebook-Monitor viel zu klein ist. Vieles habe sich zurechtgeruckelt. Dataport, der IT-Dienstleister der Hansestadt, habe extrem viel zu tun gehabt. Anfängliche Lieferschwierigkeiten wie auch technische Störungen bei Skype-Konferenzen seien jetzt aber praktisch kein Thema mehr.

Ein Drittel ohne Schulung
Auch David Warneck, stellvertretender Landesvorsitzende der GEW Baden-Württemberg, hat einen Schub wahrgenommen. Er ist ebenfalls Personalrat und leitet den AK Digitalisierung der Südwest-GEW. Die Ausstattung der Lehrkräfte sei jetzt besser. „Ich schätze, dass mittlerweile deutlich mehr als die Hälfte ein dienstliches Endgerät erhalten haben. Vor der Pandemie war es für Lehrkräfte völlig normal, ihr privates Gerät zu nutzen“, erklärt er. Weiterhin gäbe es aber Baustellen: Es müsse klar sein, dass die IT-Ausstattung durch Fachpersonal gewartet wird. Mancherorts sei die Internetanbindung der Schulen schlecht. Und ob neue digitale Arbeitsmittel die Arbeit leichter machen, sei von einer angemessenen Qualifizierung abhängig. Ohne sie könne Digitalisierung die Beschäftigten zusätzlich belasten.
Problematisch ist vor diesem Hintergrund der Befund aus dem DGBIndex: Von den Beschäftigten aus dem öffentlichen Dienst, die mit neuen Programmen oder neuer Hardware gearbeitet haben, hat ein knappes Drittel (31 Prozent) keine angemessene Schulung erhalten (vgl. Abb. 2). 40 Prozent der Lehrkräfte bewerteten die Qualifizierung als nicht angemessen.

Digitaler Austausch
Die Sonderauswertung zeigt auch, wie die Corona-Pandemie die innerbetriebliche Kommunikation veränderte. Um Kontakte zu reduzieren, wurde der Austausch mit Kolleg:innen und Vorgesetzten für viele Beschäftigte in den digitalen Raum verlagert. 56 Prozent der Befragten aus dem öffentlichen Dienst gaben an, dass digitale Kommunikation in (sehr) hohen Maße an Bedeutung gewonnen hat. Und 44 Prozent dieser Gruppe gab an, dass dadurch die Belastung zunahm.
Einen Grund dafür sieht Stefan Wiarda darin, dass im Austausch per Mail, Chat oder Videokonferenz leichter Unklarheiten entstehen. In einer ruckelnden Videokonferenz könne Mimik und Gestik leicht fehlinterpretiert werden. „Natürlich, diese Tools machen vieles einfacher. Ich kann Pendelzeiten einsparen. Aber digitale Kommunikation passt auch nicht immer. Ich hatte neulich einen wichtigen Termin mit dem Bezirksamtsleiter, das hätte ich viel lieber als Face to Face-Gespräch gemacht“, erläutert er.

Ausnahmezustand
Auch bei den Beschäftigten, die bei ihrer Arbeit täglich in direktem Kontakt mit Menschen stehen, wurde die Kommunikation digitalisiert. Laut DGB-Index leistet im öffentlichen Dienst drei Viertel des Personals diese Interaktionsarbeit. Von ihnen gaben 54 Prozent an, dass seit Beginn der Pandemie persönliche Kontakte mit Bürger:innen, Klient:innen oder Schüler:innen in (sehr) hohem Maße durch digitale Kommunikation ersetzt wurde. In der Verwaltung lag der Wert mit 67 Prozent deutlich darüber, an Schulen lag er sogar bei 91 Prozent (vgl. Abb. 3).
Je stärker dabei persönliche Kontakte durch digitale Kommunikation ersetzt wurden, desto größer war die Mehrbelastung (vgl. Abb. 4). Beispiel Schule: Hier erzwang Corona eine völlig neue Form der Interaktion, zu der es keinerlei Vorerfahrung gab1. Analoges Lehrmaterial musste in ein digitales Format gebracht werden. Außerdem waren ungleiche digitale Kompetenzen und Ausstattungen der Schüler: innen zu berücksichtigen. „Die Belastung war vor allem in Zeiten des Distanz- und Wechselunterrichts enorm. Und die Eltern hatten oft die Anspruchshaltung, zu jeder Zeit Kontakt mit den Lehrkräften aufnehmen zu können. Für die Kolleg:innen hat das zu einer Entgrenzung der Arbeitszeit geführt“, erklärt David Warneck. Dieser Mehraufwand dürfe kein Dauerzustand werden. In Baden-Württemberg hätten Personalräte aber bereits eine Rahmendienstvereinbarung zur digitalen Bildungsplattform erstritten. Demnach müssen Lehrkräfte digitale Kommunikation nicht außerhalb ihrer üblichen Anwesenheitszeit an der Schule nutzen, also nicht am Sonntag die Mail von Eltern beantworten. Diese Regelung gilt auch nach Corona.

Wie geht es nach Corona weiter?
Die Sonderauswertung und die Eindrücke der beiden Personalräte zeichnen nach Ansicht des DGB also nicht nur eine Ausnahmesituation nach, die in absehbarer Zeit überwunden sein wird. Sie zeigen Anforderungen an die Gestaltung der Arbeit der Zukunft, bei der die Ad-hoc-Digitalisierung der Pandemiezeit kein Maßstab sein kann. Es gilt, die richtigen Lehren zu ziehen. Neben neuer Hardware fordert der DGB eine präventive Folgenabschätzung digitaler Arbeit, etwa was neue Belastungen, neue Möglichkeiten und dementsprechende Qualifizierungsbedarfe angeht. Denn ein neu angeschaffter Dienstlaptop ist noch kein Ausdruck guter digitaler Arbeit.

 

DGB-Index Gute Arbeit
Seit 2007 wird jährlich der DGB-Index Gute Arbeit erhoben, um die Arbeitsbedingungen aus Sicht der Beschäftigten zu erfassen. Von Januar bis Juni 2021 wurden 6.407 Teilnehmer:innen befragt, wie sich ihre Arbeit in der Pandemie verändert hat. Im Befragungszeitraum gab es hohe Infektionszahlen und viele Schutzmaßnahmen. In der Erhebung wurden 1.994 Beschäftigte aus dem öffentlichen Dienst befragt (41 Prozent männlich, 59 weiblich). Unter ihnen waren ca. drei Viertel (74 Prozent) Arbeitnehmer:innen und ein Viertel (26 Prozent) Beamt:innen. Um die Einordnung zu erleichtern, werden hier auch Werte der Privatwirtschaft angeführt. Dabei sind Unterschiede in der Berufs- und Qualifikationsstruktur zu bedenken, die die Vergleichbarkeit leicht einschränken. Das Anforderungsniveau im öffentlichen Dienst ist höher, Helfer- und Anlerntätigkeiten sind selten. Überdurchschnittlich häufig sind Expert:innentätigkeiten.


1 Vgl. Frank Mußmann u.a. (2021): Digitalisierung im Schulsystem 2021, Göttingen, S. 166ff. Online unter: kooperationsstelle.uni-goettingen.de

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