Die Zeit ist reif: Superreiche gerecht besteuern.
Für einen starken Sozialstaat, Investitionen in öffentliche Infrastrukturen und Klimatransformation - in Deutschland und weltweit.
Positionspapier07. Oktober 2024
Datei herunterladenWie können wir regionale Wirtschaftsstrukturen nachhaltig gestalten? Und wie ermöglichen wir eine öffentliche Daseinsvorsorge, die ein gutes Leben für alle ermöglicht? Diesen Fragen stellen wir uns.
Der Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge, die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse oder die gerechte Gestaltung des Strukturwandels. Der Arbeitsbereich “Strukturpolitik und Daseinsvorsorge” befasst sich mit wesentlichen Herausforderungen unserer Zeit. Hinzu kommen digitale und ökologische Transformationsprozesse, die neue strukturpolitische Antworten erfordern.
In den kommenden 3 Jahrzehnten wollen wir die Wirtschaft weitestgehend klimaneutral umbauen, die Digitalisierung verändert schon heute grundlegend die Arbeit im Betrieb und die Kommunen müssen sich an klimatische Veränderungen und Extremwetterereignisse anpassen. Heißt, ganze Branchen müssen ihre Geschäftsmodelle umbauen, (neue) Infrastrukturen müssen geschaffen und die Energiewende vorangetrieben werden. Damit gehen nicht nur neue Investitionsbedarfe einher, sondern die unterschiedlichen Transformationsprozesse müssen auf betrieblicher und regionaler Ebene gestaltet und sozial- und beschäftigungspolitisch flankiert werden.
Aus gewerkschaftlicher Sicht geht es vor allem darum, für die Sicherheit der Beschäftigten zu sorgen, neue tarifgebundene Arbeitsplätze zu schaffen und tragfähige Perspektiven für die gesamte Region zu entwickeln. Gerade beim Kohleausstieg wird die Notwendigkeit einer vorausschauenden Strukturpolitik deutlich, die neue gute Arbeitsplätze schafft, bevor die Alten abgebaut werden. Voraussetzung für eine erfolgreiche Transformation einer gesamten Region ist auch immer eine gut ausgebaute öffentliche Infrastruktur, die eine starke und flächendeckende Daseinsvorsorge garantiert und eine erfolgreiche Dekarbonisierung und Modernisierung der Wirtschaft ermöglicht.
Mit diesen gewerkschaftlichen Anforderungen gehen auch eine Reihe von Finanzierungsfragen einher: Wie können die Kommunen finanziell handlungsfähiger werden, um flächendeckende Angebote der Daseinsvorsorge sicherzustellen? Welche Maßnahmen sind notwendig, um den Investitionsstau zu lösen? Und wie können die neuen Bedarfe aufgrund der unterschiedlichen Transformationsprozesse finanziert werden? Der Arbeitsbereich “Strukturpolitik und Daseinsvorsorge” hat damit Überschneidungen zu anderen Politikfeldern, wie der Wirtschafts- und Verteilungspolitik.
Der beschleunigte Strukturwandel, ausgelöst durch Dekarbonisierung, Digitalisierung und geopolitischen Entwicklungen, trifft in der Bundesrepublik auf ein reiches Land, das jedoch von erheblichen regionalen Unterschieden geprägt ist. Regionen, die zum Teil jahrzehntelang wirtschaftlich prosperiert haben, sehen sich plötzlich vor gewaltigen Umbrüchen. Dort, wo strukturbildende Branchen in Deutschland unter Druck geraten, steht oft das Schicksal ganzer Regionen auf dem Spiel. Anderseits gibt es Kommunen, wo erhebliche Investitionsbedarfe in die öffentliche Daseinsvorsorge bestehen.
Wir wollen eine Transformation, die unser Land sozial, ökologisch und demokratisch zum Besseren verändert. Dafür muss der Strukturwandel aktiv und gerecht gestaltet werden. Aus Sicht der Gewerkschaften braucht es soziale, nachhaltige und ökonomisch tragfähige Perspektiven, insbesondere in den Regionen, die vor massiven Strukturveränderungen stehen. Gewerkschaftliches Kernanliegen dabei ist es, zukunftsfähige, tarifgebundene und mitbestimmte Beschäftigung zu erhalten und zu schaffen.
Klassische Strukturförderung setzt in der Regel erst dann ein, wenn die Strukturberichterstattung anzeigt, dass eine Region wirtschaftlich abgerutscht ist. Vor dem Hintergrund der Transformationsprozesse und dem grundgesetzlich verankerten Anspruch gleichwertiger Lebensverhältnisse muss diese „Rückwärtsgewandtheit“ überwunden werden. Strukturpolitik muss proaktiv agieren und vorbeugend ansetzen, bevor Arbeitsplätze im großen Umfang abgebaut werden.
Aus gewerkschaftlicher Sicht muss Strukturpolitik für gleichwertige Lebensverhältnisse sorgen, die Rahmenbedingungen für eine sozial gerechte Transformationen setzen und gute, tarifgebundene Arbeit stärken. Dafür sind enorme öffentliche Investitionen nötig: In Infrastrukturen, in die Dekarbonisierung oder in die Qualifizierung der Beschäftigten. Es braucht dringend eine Stärkung der finanziellen Ausstattung der Kommunen und eine Reform der Schuldenbremse, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden.
Die Sichtbarkeit und Qualität öffentlicher Daseinsvorsorge haben einen großen Einfluss darauf, wie viel Vertrauen Menschen in die staatliche Handlungsfähigkeit setzen. So stärken beispielsweise gut ausgestattete Schulen und Kitas, moderne und bezahlbare Schwimmbäder, Kultureinrichtungen sowie gut erreichbare Gesundheits- und Beratungsangebote die Lebenszufriedenheit und das Sicherheitsgefühl der Bürger*innen. Darüber hinaus kommen öffentliche Angebote der Daseinsvorsorge besonders einkommensschwachen Haushalten zugute und haben damit eine positive Verteilungswirkung und stärken den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Die öffentliche Daseinsvorsorge ist zentral für ein lebenswertes Umfeld. Von Wohnraum über Bildungseinrichtungen bis zu Kultur- und Freizeitangeboten – es sind Bereiche, die unseren Alltag maßgeblich gestalten und entscheidend dafür sind, ob wir mit unserem Leben und Lebensumfeld zufrieden sind. Gleichzeitig stellt eine gut ausgebaute Daseinsvorsorge, beispielsweise im Bereich öffentliche Mobilität, einen wichtigen Standortvorteil dar, der die Entscheidung, wo wirtschaftliche (Neu-)Ansiedlung stattfindet, stark beeinflussen kann. Die Frage der Daseinsvorsorge ist damit ein Teil proaktiver Struktur- und Regionalpolitik.
So zentral die Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge für ein lebenswertes Umfeld sind, so enorm ist der Investitionsstau, der in den letzten Jahrzehnten in diesem Bereich angefallen ist. Und er wächst seit Jahren weiter an, obwohl eigentlich in die Instandsetzung, klimafreundliche Sanierung und grundsätzlichen Ausbau dieser Infrastrukturen investiert werden müsste. Das politische Festhalten an der Schuldenbremse und zunehmende Spardiktate in Folge der hohen Inflation und steigender Zinsen führen dazu, dass sich die Lage eher verschlechtert als angemessen auf die Herausforderungen wie Klimawandel, Klimaanpassung und demografischen Wandel zu reagieren.
Enorme öffentliche Investitionen in die verschiedenen Bereiche sind nötig - auch, um die Politik und den Staat vor Ort erfahrbar zu machen und so Politikverdrossenheit und die Stärkung der extremen Ränder zu verhindern. In vielen Bereichen der Daseinsvorsorge liegt die Verantwortung bei den Kommunen. Diese sind auf Grund ihrer knappen finanziellen und personellen Mittel oft aber kaum in der Lage, neben ihren Pflichtaufgaben auch freiwillige Angebote bspw. im Bereich Freizeit und Sport aufrechtzuerhalten. Fehlende Daseinsvorsorge versinnbildlicht den sich zurückziehenden Staat und lässt auf sich selbst gestellte Bürger*innen zurück. Für den gesellschaftlichen und demokratischen Zusammenhalt muss der Staat sichtbar und spürbar das Leben der Menschen zum Positiven beeinflussen. Mit einer gut ausgebauten Daseinsvorsorge ist das möglich.
Der Kohleausstieg ist ein Jahrhundertprojekt und soll zeigen, wie der Umbau der Energieversorgung auf dem Weg in eine klimafreundliche Zukunft gelingen kann. Grundvoraussetzung dafür ist ein massiver Ausbau der Erneuerbaren Energien, der Netze und alternativer gesicherter Leistung, um das Auslaufen der Kohleverstromung zu kompensieren. Der Kohleausstieg geht zugleich mit erheblichen Herausforderungen für die Beschäftigten und betroffenen Regionen einher: Entstehen Ersatzarbeitsplätze in den Revieren? Ist das prekäre oder tarifgebundene Beschäftigung? Was passiert mit den Kolleginnen und Kollegen, die kurz vor der Rente stehen? Welche Investitionen müssen getätigt werden, um regionale Beschäftigung und Wertschöpfung zu sichern?
Die Gewerkschaften spielen im Kohleausstieg eine Schlüsselrolle, weil sie sicherstellen, dass die Beschäftigten angemessen abgesichert werden und eine langfristige Perspektive erhalten. “Niemand darf ins Bergfreie fallen!“ ist unser Leitgedanke. 2019 haben sich die Gewerkschaften in der “Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ (Kohlekommission) für öffentliche Investitionen, für die Strukturentwicklung der Reviere, für tarifgebundene Ersatzarbeitsplätze und ein Sicherungsnetz für die ”Kohlekumpel" stark gemacht. Das Ergebnis: Betriebsbedingte Kündigungen sind ausgeschlossen. Es gibt ein staatliches Anpassungsgeld, mit dem ältere Beschäftigte bis zum Renteneintritt abgesichert werden können. Wenn jemand seine Arbeit verliert, wird er oder sie in neue gute Arbeit vermittelt und Gehaltsverluste werden ausgeglichen. Zentral sind auch die im Abschlussbericht festgehaltenen öffentlichen Investitionen und Strukturmittel in Höhe von ca. 40 Milliarden Euro.
Mit dem Kohleverstromungsbeendigungsgesetz und dem Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen wurde den Empfehlungen der Kommission weitestgehend gefolgt. Die bestehenden Sicherheitszusagen an die Beschäftigten sind auch einzuhalten, wenn sich die Rahmenbedingungen verändern (z. B. bei einem vorzeitigen Kohlausstieg). Zudem müssen die staatlichen Mittel vor allem für die Schaffung von neuer Wertschöpfung und tarifgebundener Beschäftigung eingesetzt werden. Darüber hinaus gilt es, die öffentlichen Infrastrukturen und die Daseinsvorsorge zu verbessern.
Wir als DGB begleiten den Kohleausstieg nicht nur auf politischer Ebene, sondern sind aktiv in den Revieren präsent. Mit dem von uns initiierten Projekt “Revierwende” wird die Stimme der Beschäftigten vor Ort gestärkt. Die 7 Revierwende-Büros vernetzen, beraten und qualifizieren Beschäftigte, Politiker*innen und Interessierte.
Hochwertige Industrieprodukte und Dienstleistungen bestimmen unseren Alltag. Ohne Stahl, Aluminium, Papier oder chemische Produkte wäre das heutige gesellschaftliche Leben nicht möglich. Ein breites Angebot an hochwertigen sozialen und öffentlichen Dienstleistungen ist ebenfalls unmittelbar für die Wohlfahrt der Menschen enorm wichtig. Dabei herrschen gerade bei vielen sozialen Dienstleistungen schlechte Arbeitsbedingungen, niedrige Qualität und eine Billig-Mentalität. Damit Dienstleistungen und die industrielle Wertschöpfung ihre zentrale Bedeutung für die Lebensqualität erfüllen können, müssen sie von gut qualifizierten Menschen erbracht, qualitativ aufgewertet und gut bezahlt werden. Eine gute Industrie- und Dienstleistungspolitik muss deshalb immer darauf ausgerichtet sein, Gute Arbeit für die Menschen zu schaffen.
Die industrielle Basis in Deutschland muss erhalten, gestärkt und resilienter werden. Der deutsche Industriestandort zeichnet sich durch starke Verflechtungen mit Zulieferunternehmen und Abnehmern sowie mit industrienahen Dienstleistungen aus. Diese oft komplexen Wertschöpfungsnetzwerke gilt es zu berücksichtigen und zu stärken. Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Transformationsprozesse und geopolitischen Entwicklungen braucht es eine Industrie- Dienstleistungspolitik, die sich nicht auf die Setzung von Rahmenbedingungen beschränkt, sondern aktiv in den Markt eingreift. Es bedarf massiver öffentlicher Investitionen in die Dekarbonisierung, in Infrastrukturen und in die Qualifizierung der Beschäftigten. Lieferketten müssen diversifiziert, der Rohstoffverbrauch reduziert und Kreislaufwirtschaftsinitiativen gestärkt werden.
Die Digitalisierung ist treibende Kraft des Strukturwandels in vielen Industrie- und Dienstleistungsbranchen. Immer mehr Geschäftsmodelle beruhen auf der Nutzung digitaler Plattformen. Plattformen werden jedoch von gewinnorientierten Konzernen betrieben. Hier ist eine Regulierung notwendig, damit in der Plattformökonomie faire Bedingungen herrschen und sie kein Einfallstor für schlechte Arbeitsbedingungen wird.
Forschung und Innovation werden überwiegend technologisch getrieben, verändern aber Arbeitsbedingungen, Leben und Gesellschaft fundamental. Damit das Potenzial von Innovationen für ein besseres Leben genutzt wird, ist es erforderlich, die Verengung auf Technik aufzubrechen und von Anfang an Arbeitsorganisation, Arbeitsbedingungen sowie Qualifikationsbedarfe in Innovationsprozessen einzubeziehen. Soziale Innovationen müssen eine große Rolle spielen. Die Beteiligung der Beschäftigten in Innovationsprozessen von Anfang an ist notwendig, damit Innovationen zu Verbesserungen führen und um das Prozesswissen der Beschäftigten zu nutzen.
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